Angezogen von Kontrasten: Wie Accessoire-Designerin Paula Maso den Farbkreis für sich nutzt

Fotos: Ninja Hanna
Im BLONDE-Interview erzählt die Farbexpertin und Kreativdirektorin von HappySocks von den Farbtönen ihrer Heimat Venezuela, warum sie Trendprognosen hasst und wie sie am meisten über Farben von jemandem lernte, der keine sehen kann.

Was der deutsche Sommer nicht konnte, hat Stockholm schon lange abgehakt. 30 Grad, jeden Tag Sonne – die schwedische Hauptstadt schaut auf einen guten Sommer zurück. Das jedenfalls sagt Paula Maso, als sie sich zum Videocall zuschaltet. Die Kreativdirektorin der Accessoire-Brand HappySocks sitzt vor einer weißen Wand, ein schlichtes Regal im Hintergrund. Im Home Office ist Maso offensichtlich nicht: Wer sich den Instagram-Account der Designerin ansieht weiß, dass Paulas Ruf der Farbenliebhaberin nicht nur auf ihren Kleiderschrank beschränkt ist. Als „berüchtigten Farbjunkie” beschreiben schon ihre Kolleg*innen Maso in einer Kurzbiografie. Was da sonst noch drinsteht: Aufgewachsen in der venezolanischen Hauptstadt Caracas, Bachelor-Abschluss in Grafikdesign, Master in Modefotografie, gelebt in London, Barcelona, jetzt Stockholm, für HappySocks. Anfang 2020 hat Maso ihren Platz an der Designspitze der schwedischen Marke angenommen und ihr gleich einen noch bunteren Anstrich verpasst. Nebenbei führt sie mit Quinta Maso ein eigenes Tuch- und Schal-Label, dessen Designs nicht weniger expressiv sind. Für ihre Kollektionen schöpft Maso dabei aus ihrer persönlichen Liebe zum Farbkreis und aus Erinnerungen an die Orte, die sie schon einmal Zuhause genannt hat. All das macht sie auch zur Expertin, wenn es darum geht, Farb-Klischees und überholte Designregeln aufzubrechen. Kurz: Mit Paula Maso muss man darüber sprechen, wie man ein farbenfrohes Leben führen kann. Ob wir dabei genau solch kitschige Sätze vermeiden können?

 

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Gegen Trendprognosen und für (Farb-)Bekenntnisse: Paula Maso im Interview

Paula, manche Menschen sind gut darin, Lieblingsdinge zu haben. Hast du eine Lieblingsfarbe oder -muster?
Nein, ich glaube, ich habe einen speziellen Geschmack, wenn es um Farben geht. Da gehe ich auf hundert Prozent. Ich mag Dinge, die sich lebendig anfühlen und eine starke Sättigung haben. Vermutlich besitze ich nichts, das entweder „staubig” oder pastellig aussieht, weder in meiner Kleidung noch in meiner Einrichtung. Ich stehe auf Grundfarben, ich liebe Gelb, Blau, Rot, einfach das Stärkste, was man bekommen kann. Und Grün. Bei Grün bin ich wirklich sehr wählerisch – wenn es zu viel Blau enthält, hasse ich es. Ich mag eher alles, was ein bisschen wie Aqua ist, also nicht mehr so ein Gelbton, mehr so ein verträumter Gras-Ton, so ein Grün, wie man es in der Natur findet. Meine Farbe Nummer eins ist aber Pink. Meine Mutter scherzt, dass ich immer noch denselben Geschmack habe wie mit vier Jahren. Da hat sie Recht.

„Ich bin eine große Gegnerin von Trendprognosen und denke, dass sie den Tod für die Kreativität bedeuten. Ich habe schon intern Präsentationen darüber gehalten, warum wir sie nicht nutzen sollten.”

Du bist in Caracas, Venezuela, aufgewachsen und dann nach Barcelona, London und Stockholm gezogen. Was sind die zentralen Farben und Bilder, die du mit diesen Orten verbindest?
In Venezuela habe ich gelebt, bis ich 22 Jahre alt war, und das ist einfach eine sehr intensive Erfahrung. Die Stadt liegt mitten in einem Tal. Wir haben diese riesigen Berge, die in Grün gehüllt sind. Auf der anderen Seite liegt das karibische Meer. Und wir haben diese Bäume, die ein paar Mal im Jahr blühen. Sie heißen „Apamate” und „Araguaney” (Gelber Trompetenbaum), sie haben leuchtend rote und gelbe Blüten. Venezolaner*innen haben wirklich vor nichts Respekt, außer vor einem Baum. (lacht) Die meisten Gebäude in Venezuela haben dieses Ding, das nicht einmal ein Balkon ist, aber so in etwa, und es is immer voller Dreck. Dort pflanzen Menschen Bäume an, die Fassaden der Gebäude sind wie ein vertikaler Garten. Jede*r baut alle möglichen Dinge an, überall ist Grün. Und wir haben Papageien, die blau und rot und orange sind, sie fliegen überall in der Stadt herum und könnten eines Tages auf deinem Balkon landen. Es ist einfach eine sehr lebendige visuelle Erfahrung, eine natürliche Palette, aber eben lebhaft.

Wenn ich dann nach London fahre, denke ich – und das hört sich vielleicht seltsam an – an kleine, bunte Blüten. Ich glaube, die Brit*innen sind so bekannt für ihre Stoffe vom Kaufhaus Liberty’s oder ihr Textildesign. Ich weiß, dass ich mich als Grafikdesignerin davon angezogen fühle, aber ich fühle mich damit nicht besonders verbunden. In Interior-Shops wie Designers Guild ist alles sehr britisch und manchmal auch pompös, es gibt viel Samt, alles ist viel komplizierter und verschnörkelter als an anderen Orten, an denen ich war, also definitiv nicht mein „cup of tea”.

Barcelona ist für mich eine schlichte Design-Hauptstadt. In meiner Wohnung gab’s fantastische Bodenfliesen, in dieser Art von floralem Design. Manchmal sind es auch unglaubliche geometrische Muster. Der katalanische Modernismus, Gaudí und so weiter, all diese schönen, eher organischen Formen und Paletten, das fand ich ziemlich inspirierend. Madrid ist im Vergleich als Hauptstadt natürlich eine fantastische Stadt, aber wenn ich ein Bild von der Stadt sähe, ohne zu wissen, dass es Madrid ist, könnte ich es wahrscheinlich nicht zuordnen. Wenn ich ein Bild von Barcelona sehe, weiß ich es, weil die Stadt eine so starke visuelle Identität hat, die ich fabelhaft finde. Es gibt nicht viele Städte auf der Welt, die ihr eigenes Muster für alle Bürgersteige der Stadt haben und für…

…sehr praktische Gegenstände.
Ganz genau. Das ist einfach wunderschön. Ich glaube, Barcelona ist für mich ein typisches Mosaik. Stockholm ist dann einfach die Stadt des Minimalismus und Funktionalismus, was ich auch toll finde. Ich weiß nicht warum, ich glaube, es liegt daran, dass es das genaue Gegenteil von dem ist, wo ich herkomme. Aber vor allem in den 50er- und 60er- Jahren war Skandinavien sehr viel mutiger im Umgang mit Farben als heute. Ich würde sagen, sie haben sich immer mehr in ihre Monochromie zurückgezogen, außer natürlich bei HappySocks.

Wenn wir über all die Erfahrungen sprechen, die du gerade so anschaulich beschrieben hast, frage ich mich, inwieweit Synästhesie, also das Fühlen von Farben, bei deiner Rolle als Designerin für HappySocks eine Rolle gespielt hat. Auch Musiker*innen wie Lorde  haben ja in letzter Zeit darüber gesprochen, dass sie ihre Songs in Farben und so weiter spüren.
Ich kann nicht sagen, dass ich das Glück hatte, Synästhesie zu erleben. Für uns ist es aber ein Prozess, der sich wie ein Bauchgefühl anfühlt. Zu Beginn jeder Saison ist mein Lieblingstag der, an dem wir uns hinsetzen und die Farbpaletten erstellen. Ich bin eine große Gegnerin von Trendprognosen und denke, dass sie den Tod für die Kreativität bedeuten. Manchmal sind wir natürlich versucht, sie zu nutzen, aber ich bin strikt dagegen. Ich habe sogar schon interne Präsentationen darüber gehalten, warum wir sie nicht nutzen sollten. Weißt du, jede Saison kommen die um die Ecke und sagen: Das wird die Farbpalette für Frühjahr/Sommer 2023 sein, und –  Überraschung, Überraschung – es gibt ein Gelb, ein Grün oder Blau, ein Pink oder Rot. Und es geht nur um Nuancen. Ich denke mir da: Alle Farben der Welt, die der Mensch wahrnehmen kann, wurden schon entdeckt! Es heißt: „Das wird der Farbton der Saison“. Was, werden alle Menschen auf der in dieser Saison etwa auf diesen Grünton reagieren? Und wie? Das verstehe ich überhaupt nicht.

Jeder einzelne Mensch auf der Welt reagiert auf Farben. Und man muss kein*e Expert*in in irgendeiner Form sein, um eine positive oder negative Reaktion auf eine Farbkombination zu haben. Als Farbexpert*in ist das aber natürlich viel leichter. Ich weiß, dass ich ein kaltes Grau nicht mit einem warmen, poppigeren Ton kombinieren werde, weil das zu einem Konflikt führen würde. Aber es ist einfach so ein Heureka-Moment, wenn es doch zusammen funktioniert. Ich habe gerade das Gefühl, dass wir ein ziemlich abstraktes Gespräch führen.

Lass uns mal zu etwas anderem übergehen: In der heutigen Zeit ist es  ja schon lange überhaupt nichts Besonderes, bunte Socken zu tragen. Man kann äußerlich total konservativ sein, aber dann ist es die „Revolution“, die „verrückte” Socke zu tragen. Eine bunte Socke oder eine mit Bananenmuster ist längst eine neue Form der Normalität geworden und keine „verrückte” Wahl mehr.
Ja, absolut. Ich glaube, es ist wie mit einem Pendel. Ich weiß noch, wie ich vor ein paar Jahren diese blauen Outfits trug und aussah wie ein Schlumpf, die Leute waren schockiert. Heute sehe ich so etwas die ganze Zeit. Es ist das Normalste der Welt, und Leute tragen wirklich ausgefallene Sachen – ich glaube, weil die sich heutzutage sehr gut fotografieren lassen. Wir sehen das auch in unseren Instagram-Statistiken: Follower*innen reagieren besonders, wenn etwas sehr lebhafte Farben hat. Das sind die Socken, die sich online am besten verkaufen. Trotzdem gibt es einen großen Unterschied zu dem, was sich im echten Leben am Besten verkauft. Es ist fast so, als würde das Gehirn je nach Ort anders konsumieren. Und ich glaube, das wirkt sich definitiv auf die Art und Weise aus, wie sich Menschen kleiden.

„Das Wort „zeitlos” ist für mich ein wenig überladen, denn niemand erinnert sich an Dinge, die einfach nur langweilig oder simpel sind.”

Von 40er-Jahre-Design und Sneaker-Memes

Vor Kurzem hast du gesagt, dass du dich auch für Innenarchitektur interessierst, dir das als Arbeit aber zu stressig sei. Wie hängen deiner Meinung nach Mode und Interior gerade jetzt zusammen? Dein Stil und Konzept von Farben und Mode passen zum Beispiel gut zu deiner Einrichtung, die man auf Instagram sieht, das gilt aber ja nicht unbedingt für viele Leute.
Interessant, dass du das sagst. Ich habe so viele Leute kennengelernt, die einen fantastischen Sinn für Mode haben, und wenn man dann in ihre Wohnungen oder Häuser geht, denkt man: Was zur Hölle? Ich hatte eine Kollegin, die die Modeikone des Büros war, sie trug immer so coole Sachen. Und dann war ihre Wohnung super „preppy”. Aber ich glaube, es ist wirklich schwer, eine passende Einrichtung zu finden. Die meisten Innenräume sehen irgendwie gleich aus. Abgesehen von Shops wie Hay und Vitra machen alle entweder Shabby-Chic oder Landhausstil. Vitra ist aber eben crazy teuer, und manchmal möchte man günstigere Sachen haben, die trotzdem verrückt aussehen. Aber bei Ikea – und ich liebe Ikea – sind besonders die Textilien einfach hässlich. Ich glaube, es liegt daran, dass Leute Angst davor haben, Farben und Formen stärker einzusetzen. Andererseits ist die Herstellung von Interior auch unglaublich teuer und hat eine längere Haltbarkeit – natürlich kaufen Menschen nicht jeden Monat ein neues Sofa.

Ich glaube, die meisten Einzelhändler*innen oder Marken wollen auf Nummer sicher gehen und sicherstellen, dass sich etwas zeitlos anfühlt. Aber das ist die Sache mit Zeitlosigkeit: Dinge, die sich im Laufe der Zeit bewährt haben, sind deshalb zeitlos, weil sie so unterschiedliche Designs hatten. Ein einfacher schwarzer Stuhl aus den 1940er Jahren, wo ist der heute? Ein Lounge-Sessel von Le Corbusier, der war der Wahnsinn, der ist zeitlos geworden. Und deshalb sind die Dinge, die ich in meinem Kleiderschrank aufbewahre, auch etwas Besonderes, keine Basics. Das Wort „zeitlos” ist für mich ein bisschen überladen, denn niemand erinnert sich an Dinge, die einfach nur langweilig oder simpel sind. Aber dann bin ich mir auch wieder unsicher…mein Freund zum Beispiel trägt nur Schwarz. Er ist ein typischer Schwede. Manchmal habe ich Sachen zu Hause und er sagt dann: ,Das da, das hasse ich. Es tut mir leid, aber das kannst du hier nicht hinstellen.‘

Kurse in Farbtheorie vom farbenblinden Lehrer

Das lässt mich an etwas ganz anderes zurückdenken: Vor ein paar Jahren gab’s doch die Memes um „das Kleid“ und „die Sneakers“, deren Farben Menschen ganz unterschiedlich wahrgenommen haben. Welche Farben hatten sie für dich?
Ich glaube, ich habe das Kleid als Schwarz und Blau gesehen. An den Sneaker kann ich mich nicht erinnern.

Es war derselbe Fall und lag vermutlich an der Beleuchtung. Wenn Farben für dich so individuell und emotional sind, glaubst du, dass sie sich in einem philosophischen oder psychologischen Sinne verändern können, je nachdem, aus welcher Sicht sie von einer Person betrachtet werden?
Natürlich haben wir manchmal etwas entworfen und dafür diese und jene Farbkarten genutzt. Die Art und Weise, wie man sie fotografiert, ist aber auch sehr wichtig. Und manchmal spielt das Licht verrückt. Die Farbgewalt ist krass, und das kann die Art und Weise, wie man das Design erlebt, völlig verändern – vor allem, wenn etwas online präsentiert wird. Normalerweise arbeiten wir am liebsten mit viel Kontrast. Das ist HappySocks im Allgemeinen, keine Ton-in-Ton-Marke und mein eigenes Label auch nicht. Wenn man mit Kontrasten spielt, kann man die Wahrnehmung ein bisschen besser steuern. Als ich Grafikdesign studierte, war einer meiner ersten Kurse in Farbtheorie, und unser Lehrer war farbenblind. Es war so erstaunlich, von ihm zu lernen, wie er in der Lage ist, diese Dinge zu erkennen. Das hat mir sehr dabei geholfen, mir etwas über Farbkombinationen beizubringen. Für ihn war es extrem wichtig, Kontraste zu haben, denn die sind bei Farbenblindheit nicht das Problem. Vielleicht ist das etwas, das ich unbewusst auf meine Designreise mitgenommen habe. Das war bis hierher wirklich ein trippy Gespräch!

„Farben sind so sehr mit einem Gefühl verbunden. Ich kann nicht zu jemandem sagen: „Entscheide dich für ,staubige‘ Farbtöne!“ wenn die Person in Wirklichkeit aber im Haus ihrer Großmutter aufgewachsen ist, das eine verrückte gelbe Wand hatte.”

Dann lass es uns zum Abschluss ein bisschen einfacher halten. Glaubst du dennoch, dass es drei gute Tipps gibt, wenn ein Mensch einen Farbtupfer in sein oder ihr Leben bringen möchte?
Ich denke ehrlich gesagt, dass Menschen herausfinden müssen, welche Farbe sie glücklich macht. Manchmal sieht man etwas auf Pinterest und denkt: Oh ja, das sieht gut aus, weil man denkt, dass es entweder trendy ist oder gut aussehen wird. Oder es verleiht einem eine Art Status oder ist das ,neueste Ding‘. Und letztendlich fühlt es sich falsch an – weil es das auch irgendwie ist. Ich denke, man könnte gut in die Bibliothek gehen und sich ein Buch über Farben ausleihen, oder sich ein Pantone-Buch kaufen und einfach sehen, wie man tickt. Das alles ist so sehr mit einem Gefühl verbunden. Ich kann nicht zu jemandem sagen: „Entscheide dich für ,staubige‘ Töne!“, weil die eine sicherere Bank sind, wenn die Person in Wirklichkeit aber im Haus ihrer Großmutter aufgewachsen ist, das eine verrückte gelbe Wand hatte. Damit verbindet sie dann sehr warme Erinnerungen und das ist es, was sie glücklich machen wird. Menschen müssen herausfinden, was ihre Farbpalette ist, und sich ohne Angst darauf einlassen. Und diese Farbe kann auch Beige sein, das ist völlig in Ordnung. Auch Beige ist eine Farbe. Versucht einfach, dem treu zu bleiben, was bei euch diese Art von Gefühlsreaktion auslöst. Für mich bleiben das knallige, poppige Farben.

Fotos: Ninja Hanna

In Kooperation mit HappySocks.

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