Seit über einem Monat kann man die Serie „The Morning Show“ streamen – dabei ist die Geschichte der US-amerikanischen Newsshows doch wirklich auserzählt. Oder?
Menschen, die für’s Frühstücksfernsehen arbeiten, sind in Deutschland manchmal ein Mysterium. Sie zählen zu einer klassischen Moderatorenelite und können doch nicht die volle Publikumsbindung der Konkurrenz aus Radio- und Podcastwelt abgreifen. Von dem vermeintlichen Hype um ihre Kolleg*innen aus dem Abendprogramm mal ganz zu schweigen. Morningshow-Hosts sind hierzulande Mystery, sowas wie die Akte X der kriselnden Fernsehwelt.
Wie so oft fehlt den deutschen Faces einfach der Kultstatus. Jedenfalls fehlt ihnen einer, wie er den Kolleg*innen in den USA zuteil wird. Auch dort rangieren Morningshow-Hosts in Sachen Beliebtheit vermutlich hinter den großen Talkern aus Late-Night-Formaten. Und dennoch: Die Welt der US-amerikanischen Frühstücksmoderatoren scheint eine, na ja, nahezu ungebändigte Faszination auf Zuschauer auszuüben.
Morningshow = Psychokomplex: Ist das wirklich spannend?
Wie sonst ließe es sich erklären, dass seit Jahren immer wieder Fernseh-, Streaming- und Film-Œuvres aus dem Boden schießen, die versuchen, uns die komplexe Welt einer US-Morningshow zu verkaufen? Oder eben, sie überhaupt als komplex zu verkaufen. Kleiner Disclaimer: Als Autor dieses Textes habe ich keinen einzigen dieser Filme oder gar eine Serienfolge gesehen und darf mir aus journalistischer wie persönlicher Ehre vermutlich gar kein Urteil erlauben. Und tue es doch. Ich habe all die Werke vor allem deswegen nicht angeschaut, weil mich schon ihr Konzept oft langweilt. Es nervt, dass Studios, Produzent*innen, Regisseur*innen, Schauspieler*innen und vor allem Zuschauer*innen nach wie vor glauben, die internen Abläufe einer Morningshow-Redaktion hätten einen Krimi-ähnlichen Spannungsbogen. Oder überhaupt eine eine Storyline.
Vor allem aber drehen sich die Geschichten um die Themen, die eine westliche Mittelstandsgesellschaft ohnehin permanent beschäftigen: Probleme mit alternden Fachkräften, Gender-K(r)ämpfe, das Problem mit der Digitalisierung.
Von den persönlichen Dramen der Moderatoren ist dabei natürlich die Rede. Von den journalistischen Challenges, denen sie jeden Morgen entgegentreten, bevor ihre devote, halbaufmerksame und doch treue Audience Zeuge ihres Status wird, der mit nichts anderem als „Koryphäe” betitelt werden dürfte. Eine Koryphäe, die gibt es in diesen Formaten nämlich immer. Meistens ist sie ein Mann. Vor allem aber drehen sich die Geschichten um die Themen, die eine westliche Mittelstandsgesellschaft ohnehin permanent beschäftigen: Probleme mit alternden Fachkräften, Gender-Kämpfe, das Problem mit der Digitalisierung.
An Alternativen mangelt es nicht
Von vielen dieser Schlachten erzählt auch die Serie „The Morning Show” mit Jennifer Aniston, Steve Carrell und Reese Witherspoon, die Anfang November auf Apples eigenem Streamingservice ihr Debüt feierte. Erst gestern Abend haben sie wieder Menschen in meinem Insta-Feed für ihre Storys abgefilmt, Freunde und Unbekannte. Soll heißen: Auch wenn meine Feed-Blase vielleicht kein repräsentativer Querschnitt ist, zieht sich die Liebe zum Morningshow-Drama scheinbar auch hierzulande durch verschiedene Geschmäcker und Zielgruppen. Aber: Wenn sich ein US-Serien-Drama ohnehin am klassischen Aufbau seinesgleichen bedient, ist sein genauer Ort des Geschehens vielleicht gar nicht mal so wichtig.
Ist nicht gerade deshalb der Schauplatz Fernsehstudio ein Arbeitsplatz wie jeder andere auch? Gibt es gerade deshalb nicht gefühlt hunderte andere Wege, Geschichten zu den obigen Thematiken auf den Bildschirm zu bringen? Warum müssen die Kämpfe um Aufmerksamkeit, Arbeitsstress oder Geschlechter-Gleichberechtigung hinter dem Moderationstisch ausgetragen werden? Weil sie dort zu Hauf passieren und es wichtig ist, diese Geschichten zu erzählen, schon klar. Man könnte aber auch mehr Shows über alleinerziehende Mütter bringen. Oder wenn schon das Studio ein Schauplatz ist, dann vielleicht nicht-als-Rom-Com-inszenierte Filme über die Producerinnen hinter den Kulissen. Wenn eine Redaktion, dann vielleicht wenigstens eine außerhalb der typischen glattpolierten Wolkenkratzer. Und das sind wirklich wahllos gewählte Beispiele.
Man könnte aber auch mehr Shows über alleinerziehende Mütter bringen. Oder wenn schon das Studio ein Schauplatz ist, dann vielleicht nicht-als-Rom-Com-inszenierte Filme über die Producerinnen hinter den Kulissen. Wenn eine Redaktion, dann vielleicht wenigstens eine außerhalb der typischen glattpolierten Wolkenkratzer. Und das sind wirklich wahllos gewählte Beispiele.
Wenn das dann jemand sehen wollen würde. Vermutlich ist die Inszenierung des Morningshow-Universums nämlich Teil eines erfolgreichen US-TV-Segments, das sich ausschließlich um seinen eigenen, ewig vorgegaukelten Pathos dreht. Wichtig sind hierbei zum Beispiel Stichworte, die in Szenen fallen, in denen sich die Burn-Out-gefährdeten Figuren ihre Lines an den Kopf werfen. Es ginge um „the nation” als Zuschauerschaft, es ginge um eine essentielle Form des „American Entertainment“. Dass eine einzelne Morningshow, so legendär sie auch gewesen sein mag, heutzutage noch so einen Einfluss auf kulturzentrale Entwicklungen hätte, scheint auf den ersten Blick in der Realität unwahrscheinlich.
„Bombshell”: Von Fox News, Missbrauch und echten Geschichten
Aber nicht unmöglich. Als Ausgangslage für „The Morning Show“ dient ein fiktionaler sexueller Missbrauchsskandal im Studio. Dass es diese Fälle zu Hauf in der Realität gibt, hat unter anderem #MeToo bewiesen. Ab dem 13. Dezember läuft dazu in den USA ein Film namens „Bombshell” an: Nicole Kidman, Margot Robbie und Charlize Theron treten als Mitarbeiterinnen des US-Senders Fox News auf, die mit den Missbrauchs-Anschuldigungen gegen Senderchef Roger Ailes Aufmerksamkeit erregen. Die Geschichte ist wahr, geschehen vor gerade mal drei Jahren. Nach Anschuldigungen von mehr als 20 Frauen tritt Ailes 2016 zurück und erhält eine Abfindung von 40 Millionen Dollar. Die von Kidman und Theron gespielten Journalistinnen werden zum Teil der #MeToo-Bewegung. Fox News selbst spielt ohnehin schon eine zentrale Rolle in der Wahl um US-Präsident Donald Trump und könnte es bei den Präsidentschaftswahlen 2020 wieder tun: Trotz allgemein rückläufiger Zuschauerzahlen und hochgradig kontroversem Image toppt der Sender die Liste der News-Kabelanbieter in den USA.
Unter dem Mantel von elitären News-TV-Trash als Schauplatz will der Trailer für „Bombshell“ viel versprechen – egal, ob es sich dabei nun am Ende um einen guten Film handelt. Es könnte (und sollte) darin um toxische Männerkultur gehen. Der Film könnte einen Diskurs über Frauenbilder (vor allem in Newsshows) schaffen und deren Folgen auf die Wahrnehmung der Kredibilität von Missbrauchsopfern. Und viel mehr. Dass es sich hierbei nicht einzeln um die Redaktion einer Morningshow handelt, ist an dieser Stelle egal. Es geht vor allem darum, dass das hier ein wahrer Fall ist, der gerade mal drei Jahre zurückliegt – und das im erfolgreichsten Nachrichtensender des Landes. Man könnte darüber sprechen, wie viele solcher Fälle bisher unerkannt geblieben sind, auch außerhalb von Fernsehstudios. Man könnte all das tun, wenn man denn wollte. Und vielleicht wäre das dann mal wirklich spannend.