Wie hört man die innere Stimme, wenn es um einen herum laut ist? Essay von Musikerin Jenniffer Kae

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Es ist nicht so einfach, seine Wahrheit zu sprechen. Sie zu singen, erst recht nicht. Musikerin Jenniffer Kae steht seit Kindertagen auf Bühnen, unterstützte die größten deutschen Stars im Background. Aber erst jetzt, mit der Veröffentlichung ihres Albums „Halb vier“ lässt sie die innere Stimme lauter werden als die um sie herum. Das Heranreifen und die Ambivalenz der eigenen Gefühle zu teilen, ist ein mutiges aber befreiendes Wagnis. Für Blonde hat Jenniffer Kae ein Plädoyer fürs Bauchgefühl aufgeschrieben…

Wie schafft man es, bei so vielen Stimmen um sich herum, seine eigene zu hören? Ich glaube, diese Frage fasst im Wesentlichen meine Suche der letzten zehn Jahre zusammen. Ich tue mich schwer zu sagen, dass ich sie gefunden habe, diese ununterbrochene Anbindung an meine innere Stimme. Diese Intuition, oder mein Bauchgefühl. Ich weiß – nach zahlreichen Umwegen entgegen dieser innenwohnenden Weisheit – aber inzwischen genau, wie es sich anfühlt, wenn diese ganz klare Stimme von meiner Mitte ausgeht und spüre, dass es Zeit ist, wieder voll und ganz meiner Wahrheit zu vertrauen und danach zu handeln.

Ich bin in einer lauten, temperamentvollen Musikerfamilie großgeworden. Meine Mutter war Sängerin von Beruf – eine gute Voraussetzung also, um mit meiner Stimme und meinem Körper näher in Kontakt zu treten. Die ersten 15 Jahre meines Daseins habe ich vor allem damit verbracht, meinen Lieblingssängern nachzuahmen. Zuerst meiner Ma, dann Mariah, Whitney, später Beyoncé, hauptsache laut, hoch und möglichst kontrolliert musste es sein. Ich war eher unscheinbar und schüchtern und überließ das Reden lieber den Anderen, dennoch stellte ich mich todesmutig auf jede Bühne, die sich mir bat. Schulhöfe, Wettbewerbe, Festzelte, Geburtstage: Gesang und Tanz wurden zu meiner Sprache. Komplimente wie ‚schöne Stimme‘ boosteten mein Selbstwertgefühl.

Irgendwann aber fand ich keine Herausforderung mehr im bloßen Nachsingen. Ich entwickelte mich weiter, mein Musikgeschmack auch. Von oktavenschleudernden Stimmgewalten langsam hin zu Geschichtenerzählern. Über Lauryn Hill und Amy Winehouse, über Acts wie Coldplay, Paolo Nutini, zu klassischen Singer-Songwritern wie Damien Rice… 

Mir wurden Lieder auf den Leib geschneidert. So versteckte ich mich als 19-Jährige hinter den Worten von drei englischen, erwachsenen Männern.

2009 entstand mein erstes englischsprachiges Studioalbum. Gemeinsam mit drei englischen Songwritern. Ich bin während dieser Phase zum ersten Mal dabei gewesen, wenn Lieder in einem Raum entstanden und habe einen kleinen, schüchternen Beitrag leisten können. Aber: Zum Großteil wurden mir Lieder auf den Leib geschneidert, wie die Auskopplung „Little White Lies”, die es in die Charts und das Radio schafften. Ich war immer noch viel zu zurückhaltend dafür, mich wirklich zu öffnen und meine Gedankenwelt zu teilen und so versteckte ich mich als 19-Jährige hinter den Worten von drei englischen, erwachsenen Männern. Verrückt, denn drei spannende Jahre lang, trug mich dieses Album durchs Leben. Zu der Zeit, fiel mir zum ersten Mal auf, wie weit mich meine Stimme trug, ohne dass ich mich wirklich preisgab, ohne wirklich zu kommunizieren.

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Der Wendepunkt

Das war eine ganz entscheidende Erfahrung für mich, die bald zum Wendepunkt wurde. Ich genoß als Anfang 20-Jährige natürlich sehr viele Aspekte der Aufmerksamkeit und Freiheit und trotzdem fühlte ich mich so unsicher wie noch nie, oftmals sogar so, als würde ich das Leben einer anderen Person leben, und dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Schwindel auffliegt.

Irgendwann dann kam der Punkt, an dem ich zunehmend den Kontakt nach Innen verlor.

Ich fing an, im Stillen mein eigenes Material zu sammeln. Meistens aber verwarf ich es wieder. Rückblickend kann ich sehen, dass ich große Angst davor hatte, mit der Profi-Liga und dem Image nicht mithalten zu können, das ich selbst um mich kreiert hatte. Ich war gut darin, so zu tun als sei ich selbstbewusst und kontrolliert – das hatte ich doch jahrelang geübt. Um mich herum überzeugte ich die Menschen mit diesem Blenderdasein nonchalant. Ich schaltete einfach in den Profi-Modus. Hier war kein Raum für Unsicherheit, Zweifel und Gefühlsduselei. Ich lag im Clinch. Meine Stimme vs. meine innere Welt.

Irgendwann dann kam der Punkt, an dem ich zunehmend den Kontakt nach Innen verlor. Panik-Attacken, ein Gefühl der Entfremdung, intensive Gemütsschwankungen, ein Tinnitus und eine große Traurigkeit, die sich nach und nach in mir breit machten, nahmen mir mehr und mehr die Kraft und zwangen mich nach Innen zu blicken. Zum Glück, kann ich heute sagen. Denn erst hier, mit mit Mitte 20, begann endlich meine Reise zu meiner inneren Stimme. Die große Traurigkeit zog mich zurück in meine Mitte. Ich verstand, dass mein Seele über meinen Körper als Sprachrohr vergebens so viele Signale geschickt hat, die ich systematisch ignoriert habe.

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Mehr Ich-Zeit

Und so hatte ich schlagartig keine Kraft mehr für Unwahres. Ich entschleunigte. Nahm keine weiteren Engagements mehr an. Ich zog mich in meiner kleine Wohnung zurück. Ich lernte zu meditieren, suchte Antworten im Buddhismus, ich erschaffte mir Rituale, wie Yoga, Laufen, und Bewegung, in denen ich wieder ein echtes Körpergefühl entwickelte, ich verbrachte mehr Zeit mit meinen Freunden und meiner Familie.

In dieser Zeit lernte ich, wenn auch schmerzlich, die direkte Verbindung zwischen meiner Seele und meinem Körper kennen. Ich lernte, ihr nach und nach zu vertrauen. Symptome wie ungute Gefühle im Bauch zu zulassen, statt sie zu übergehen, reinzuspüren wenn der Kloß im Hals sich breit machte, statt ihn zu betäuben oder Emotionen wegzudrücken. Ich lernte, nach und nach alle meine Gefühle zu verkörpern.

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So tauschte ich irgendwann Strategien der Sicherheit und des Kopfes gegen die meines Bauches ein. Es hat noch ein paar Jahre gedauert, bis ich mich endlich traute, meine Worte, meine Geschichte, mit meiner Stimme zu verweben und sie rauszusingen. Mich anzunehmen in meiner Polarität und in alle meinen Aspekten endlich mitzuteilen. Ich gestehe mir ein, dass Gefühle widersprüchlich sein können. Dass ich in einem Moment laut und sicher und im nächsten klein und zerbrechlich bin. Dass meine Worte niemals perfekt sein werden und nicht überall Anklang finden, ich sie aber trotzdem spreche und für mich einstehe. Dass in dem Moment, wo ich ein dringendes Bedürfnis empfinde mich mitzuteilen, das allein Grund genug ist, es auszusprechen.

Hör genau hin

Ich bin fest überzeugt: Kein Erfolg, kein Mensch, keine Reise, nichts ausserhalb von uns, kann diese innere Stimme ersetzen oder manipulieren. Sie ist und bleibt da. Die ganze Zeit. Die Frage ist, wie sehr wir es schaffen, ihr endlich Gehör zu schenken. Die Außenwelt runterzufaden, uns mal eine Pause zu gönnen und zu nichts mehr zu zwingen, stattdessen unserem Timing und unserer Einzigartikeit zu vertrauen und dem Inneren endlich Ausdruck zu verleihen.

Text: Jenniffer Kae
Fotos: Marcel Brell

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