Romantische Hoffnung trifft auf Dating-Müdigkeit, zielloses Swipen trifft auf Spontan-Dating: Selten war es so schwierig, klare Dating-Prognosen zu treffen, wie in der post-und-doch-andauernden Pandemie-Welt. Wo wir zwischen App-Kolla und Kontaktanzeige landen, zeigt dieses DateUpDate.
Es ist „Cuffing Season“. Der Begriff meint die Zeit im Herbst und Winter, in der sich Singles und Datende angeblich voll Sehnsucht nach gemütlicher Kuscheligkeit mit besonders viel Elan ins Getümmel stürzen, um Partner*innen zu finden. Aber ist dieser Begriff noch wirklich anwendbar? Wer das Internet ein wenig nach Trends für den Dating-Winter 2021 durchforstet, stößt als Antwort vor allem auf Widersprüche. Die Thesen verlaufen wie zu erwarten: Nach Lockdown-Phasen, Isolation, Einsamkeit, einem eher ausgebliebenen „Hot Vaxx Summer” und awkwarden Park-Dates seien viele Nutzer*innen eher auf der Suche nach langfristigen und tiefgreifenden Beziehungen, heißt es auf der einen Seite. Auf der anderen Seite stehen Thesen dazu, dass sich Dating-Limits aufgelöst hätten: Jetzt, wo vieles Zwischenmenschliche Kopf stand, sei alles möglich. Menschen hätten in der Pandemie ihre Unabhängigkeit gefunden heißt es, seien mehr mit sich selbst beschäftigt oder offener für alternative Modelle in Liebe und Sex, als je zuvor.
Weiterwischen oder analog treffen? Prognosen für den Dating-Winter 2021
Unterstützt mit Argumenten von Dating-Expert*innen und Psycholog*innen geht es so für beide Seiten weiter. Und vermutlich ist alles davon in irgendeiner Facette wahr oder trifft auf Teile der Weltbevölkerung zu. Wie aber soll Mensch daraus eine Prognose ableiten, was im Dating-Winter 2021 auf ihn*sie zukommen könnte? Indem wir im auf kleinere Entwicklungen schauen – zum Beispiel hier im DateUpDate. Und weil auf lokaler wie internationaler Ebene die unterschiedlichsten Pandemie-Realitäten herrschen, finden diese Entwicklungen weiterhin vor allem online statt – oder doch nicht? Hier schauen wir uns an, welche neuen Features bei Dating-Apps auf uns zukommen könnten, welche nostalgisch-analogen Alternativen die Pandemie hervorgebracht hat, und welche Ideen allen Widersprüchen trotzen sollen.
1. „Tinder Fatigue”: Ja, euer App-Überdruss ist jetzt Forschungsthema
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Wir wissen, die Beiträge der Kolleg*innen von Deutschlandfunk Nova finden sich in einigen DateUpdates. Dieses hier ist keine Ausnahme: In einer Oktober-Folge des Programms „Ab 21” geht es gerade um Dates in der nahen Zukunft – und darum, wie datingmüde viele Menschen sind. Wer schon online gedatet hat, weiß, dass dieser Überdruss bei weitem kein neues Gefühl ist. Immer häufiger erhält das Ganze aber vor allem mit Bezug auf die Pandemie-Welt einen Namen: Angelehnt an eine kollektive „Zoom-Fatigue“ attestiert zum Beispiel die Psychologin Johanna Degen Nutzer*innen eine „Tinder-Fatigue”. Tinder steht dabei aber nur beispielhaft für allgemeines Online-Dating, zu dem Degen an der Uni Flensburg forscht. Wie sich die belastende Müdigkeit beheben lässt, ist wohl individuell abhängig, Johanna Degen hätte aber einen übergeordneten Tipp: Einen Gang runterschalten. Das heißt: Nicht möglichst schnell treffen und nach einem Treffen nicht direkt weiterwischen, zum Beispiel. Oder: den „Einsatz” für ein Date erhöhen, zum Beispiel durch ein Treffen in einer für Beide fremden Stadt oder in einem teuren Restaurant, damit es schwieriger ist, abzusagen. Vielleicht ein paar Notizen, die es sich für die kommenden Dating-Tage zu machen lohnt? P.S., für ein bisschen Hoffnung: DLF Nova berichtet auch von einer weiteren Studie, laut der online entstandene Beziehungen nicht weniger erfolgreich sind als analoge!
2. Der Gegenentwurf zum Dating nach Plan: Spontan-Dating
Einen gleichzeitig passenden aber auch gegensätzlichen Entwurf zum „langsamen“ Daten haben angeblich die Kolleg*innen von der US-Plattform Bustle gefunden. Auch sie sprechen sich gegen endloses Swipen und Dating nach Plan oder Schemata aus. Gleichzeitig sollte laut Autorin Kate Mooney aber manchmal eben nicht viel Zeit vergehen, bevor wir uns auf eine andere Person einlassen. „Spontan-Dating” soll der Trend sein, den die Single-Welt nach Lockdown-Phasen gebraucht hat. Mooney erzählt dafür Geschichten von Menschen, in denen das eine Person für ihr Match spontan den Fluch umgebucht und stattdessen eine romantische Nacht mit ihr verbringt. An anderer Stelle geht es um eine allein reisende Frau, die eigentlich auf Langzeitbeziehungen steht, sich aber auf eine Affäre mit ihrem Tauchlehrer einlässt – weil die zeitlich begrenzt ist. Die geheime Zutat für all diese Erfahrungen: Spontanität. In dieser Form klingt „Spontan-Dating” erst einmal nach unrealistisch-überperformten Hollywood-Drehbuch, wäre aber zumindest mal ein Trend, der sich ohne App und Co umsetzen ließe.
3. „Alter, Gender, Größe” sucht: Die Kontaktanzeige kehrt ein weiteres Mal zurück
Zumindest halb-analoges Dating mit Nostalgie-Flash findet auch Randa Sakallah statt. So, wie es hierzulande schon Indie-Magazine und junge Medien wie NEON taten und Tageszeitungen noch immer tun, ist auch 27-Jährige New Yorkerin zur guten alten Kontaktanzeige zurückgekehrt. Zumindest grob. Sakallah hat die Partnersuche online und für eine eher jüngere Zielgruppe adaptiert, die unter Symptomen der oben genannten „Tinder-Fatigue” leidet. Aus den Q&As ihrer Mitglieder kuratiert sie einen Newsletter mit dem halb-ironischen Namen „Hot Singles”, der wöchentlich eine Person vorstellt und bereits mehrere hundert Subscriber*innen zählt. Mit physischen Events, auf denen sich die Singles mit unterschiedlichen Absichten treffen können, hat Sakallah die Brücke zwischen On- und Offline-Dating geschlagen. Mit ihrem Crossover aus Dating-App und Anzeigenspalte ist sie nicht ganz allein: Kolleg*innen von NYLON USA berichten über ähnliche Projekte. Da wären zum Beispiel ein Influencer oder eine Fashion-Brand, die Singles auf ihren Plattformen einen Shoutout geben. Oder kleine Kontaktanzeigen im Mail-Newsletter im New York Magazine, oder ein Twitter-Thread, in denen sich Singles einander Guerilla-mäßig vorstellen. Soll heißen: Hybride aus „normalen” Social-Media-Netzwerken, „missed connection”-Anzeigen und der klassischen Kontakt-Gesuchen könnten ein neues Modell sein, für das sich immer mehr Menschen interessieren. Übrigens: Auf Instagram und Co auszuweichen gehört für viele sicher schon zu einer bekannten Taktik, wird aber auch von Psychologin Johanna Degen aus dem DLF-Beitrag empfohlen.
4. Was hat es mit „Dating Dry” auf sich?
Wenn wir Begriffe wie „Dry Dating” schnell in einschlägige Suchmaschinen eingeben, gibt es zwei Arten von Ergebnissen. Zum einen geht es beim Begriff „Dry” im Bezug auf Dating oft um eine vermeintliche „Dürrephase” im Bett oder Liebesleben, also den „Dry Spell”. Zum anderen verbergen sich hinter dem Begriff aber auch Erfahrungsberichte darüber, wie es sich als trockene*r Alkoholiker*in so datet. Ganz so drastisch muss die Erklärung aber nicht ausfallen. Zumindest nicht, wenn es nach der Dating-App Bumble geht. In einer Pressemeldung hat das Team der App 5 verschiedene Dating-Typen erstellt, auf die Singles aktuell treffen könnten. Einer dieser Typen sind die „Dry Daters”. Bei ihnen handelt es sich nicht unbedingt um trockene Alkoholiker*innen; vielmehr zählen sie zu den 20%* der Millennials, die sich laut Bumble-Forschung* während der Pandemie in ihrem Alkoholkonsum umorientiert haben. Während sie früher zu Bar-Gänger*innen zählten und Party-Hopper*innen gewesen sein sollen, teilen sie nach der Pandemie offen ihre Vorliebe für ein alkoholfreies Leben mit potenziellen Partner*innen, sagt Bumble. Wichtig für ein funktionierendes Treffen sei dabei entweder eine Wertschätzung ihrer Erfahrung durch das Gegenüber. Weil es für die die No-Alcohol-Einstellung bei Bumble einen speziellen Profil-Sticker gibt, ist die Idee der expliziten „Dry Daters” gerade vermutlich noch mehr Marketing als tatsächliches Erkennungszeichen. Wenn es aber um unsere kommenden Dates geht, bleibt dennoch die Möglichkeit einmal mehr darüber zu reflektieren, wie sehr die Einstellung zu Alkohol im Zentrum von (romantischen) Treffen steht.
*Forschung, die im März 2021 von Research Without Barriers (RWB) im Auftrag von Bumble online mit 1.011 deutschen Erwachsenen durchgeführt wurde.
5. Überall nur Voice-Notes: Wann kommt die Sprachnachricht bei Tinder?
Zugegeben: Diskussionen um die persönliche Einstellung zu Sprachnachrichten sind mittlerweile so alt wie die über’s Telefonieren. Tut es, tut es nicht, oder findet eben einen Mittelweg – ein klares Für- und Wieder gibt es hier nicht. Vielleicht ist das Feature aber genau aus diesem Grund noch nicht bei allen Dating-Apps vertreten – auf Tinder zum Beispiel fehlt es noch. Das könnte sich aber bald ändern. Unter der Konkurrenz haben die Sprachnachrichten in den letzten Jahren jedenfalls angezogen. Neben weniger bekannten Apps, die teilweise sogar nur auf die Kommunikation per Voice-Memo setzen, haben auch Services wie Bumble oder Hinge das Feature jetzt hinzugefügt. Bei letzterer App lässt sich sogar eine Stimm-Probe zum Profil hinzufügen, so wie sonst Videos oder ein herkömmliches Profilbild. Aus solchen Entwicklungen und weiteren Statistiken schließt Mashable, dass Sprachmemos im Online-Dating gerade eine Hochphase erleben. Ob man sich vor dem direkten Entblößen der Stimme scheut oder nicht – die „Enthüllung” verschafft zweifelsfrei noch mal mehr Eindruck, als ihn ein Text oder Bild vermitteln kann. Gleichzeitig ginge es im Fall von Hinge aber auch darum, diese Features zu einem Add-on zu machen, anstatt damit Textnachrichten zu ersetzen. Eine Hör- und Sprechfunktion ohne Transkript ist schließlich – wie viele Dating-App Features – nicht immer barrierefrei oder inklusiv.
Fotos: Polina Tankilevitch/Pexels
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