Dass Handwerkskunst nicht staubig ist, zeigen die Labels der dritten digitalen 080 Barcelona Fashion Week. Frisch vom Laufsteg haben wir Designer*innen auf die Finger geschaut und zusammengefasst, welche Trends ihr genauer ansehen solltet.
Abgesehen von unentdeckten Talenten und dem Ruf von absoluter Individualität – was genau macht eigentlich den Charme von kleinen Fashion Weeks aus? Zum Beispiel ihre Freiheit, außerhalb der rigiden Vorgaben internationaler Konkurrenz zu stehen. Oder ihr Fokus auf besondere Skills. Bei der 080 Barcelona Fashion Week steht auch in diesem Jahr wieder vielseitige Handwerk im Mittelpunkt. Von der Hype-Marke bis zum Underdog-Label zeigen Labels hier nah und greifbar, was sie unter ihrer Handwerkskunst verstehen – egal, ob sie dafür mit dem Smartphone oder Nadel und Faden arbeiten. In diesem Jahr fand das katalanische Fashion-Event schon zum dritten Mal ausschließlich digital statt. Vier Tage und 22 Shows später bleiben nicht nur endlose unterschiedliche Eindrücke zurück – sondern auch handwerkliche Gemeinsamkeiten. Auf welche Methoden, Looks und Materialien sich so manche Labels einigen konnten, lest ihr hier.
Makramee(-Look) bei Álvaro Calafat und Moises Nieto
In Europa erlebt Makramee immer wieder Blütezeiten – so ähnlich steht es in der, ähem, natürlich sehr vertrauenswürdigen Online-Enzyklopädie unseres Vertrauens. Stimmen dürfte diese Aussage aber tatsächlich, denn im Katalonien von 2021 ist genau solch eine Blütezeit gerade angebrochen: Hier mischen sich Makramee-Technik und -Optik unter die Handwerkskunst der Barcelon’schen Modewoche. Vertreten wurde die Seilknüpftechnik zum Beispiel von den Designern Álvaro Calafat und Moises Nieto, den wir euch gestern schon vorgestellt haben. Beide Designer versahen die Knüpfung mit ihrer eigenen Handschrift. Dennoch gab es vor allem ein Element, das sie vereint: Die langen, losen und auslaufenden Seile eines Makramee-Kunstwerks. Álvaro Calafat ging sogar so weit, die Stränge nicht (wie üblich) unterhalb der jeweiligen Knüpfung auslaufen zu lassen, sondern sie als neue Schicht darüber zu drapieren. Bräuchte es einen Titel für diese Interpretation – wie wäre es mit „no strings attached“?
Geflochtene Hüte bei Lebor Gabala, Is Coming und Lola Casademunt by Maite
Zugegeben: In Sachen Laufsteg haben geflochtene Hüte eine schwierige Position. Abgesehen von Ausnahmen wie dem XXL-Hut von Jacquemus aus der Spring/Summer Kollektion 2018 hängen dem Flechthut zu häufig noch Stereotype von Strandurlaub bis englisches Pferderennen nach. Über genau diese Klischees setzten sich die Designer*innen der 080 Barcelona Fashion Week aber nun hinweg – zum Beispiel das Label Lebor Gabala: Mit einer von kalifornischen Küsten inspirierten Kollektion machte das Team unserer Sommer-Vermissung alle Ehre und setzte ihr den geflochtenen Strohhut auf. Und wie schon bei Makramee (s. oben) geht auch bei diesem Accessoire der Trend zu „losen Enden”. Während die Hüte von Lebor Gabala in der Silhouette eher an Glockenformen erinnern, bleibt die Hutkrempe ausgefranst. Das stellt die verschiedenen Techniken des Flechthandwerks in all ihren Kontrasten dar. Klassischer geht es bei Is Coming und Lola Casedemunt by Maite zu. Is Coming schickte besonders große Flechtkrempen auf den Laufsteg, oder einen pastellig eingefärbten Crossover aus Fedora und Cowboyhut. Dem Cowboyhut wiederum gibt Lola Casedemunt by Maite in ihrer Western-inspirierten Kollektion das Flecht-Treatment in Pink, Grün oder Schwarz. Giddy-up!
Streifen-Strick bei Paloma Wool und Escorpion
An dieser Stelle bemühen wir uns einer kitschigen aber hilfreichen Metapher: Die neuen Strick- und Häkel-Designs von Paloma Wool und Escorpion sind wie eine Art Zeitstrahl. Warum? Weil man kaum einem Kleidungsstück seine Herstellungsweise so gut ansehen kann, wie den gestreift-gesprenkelten Kleidern und Kombinationen, die beide Labels gerade in Barcelona zeigten. Soll heißen: Weil Handarbeiter*innen für jeden neuen gestrickten Streifen das Garn wechseln müssen, können Träger*innen genauer als nachvollziehen, wie aufwendig die Arbeit am jeweiligen Piece war. Ein bisschen erinnert die Technik an TikTok-Videos, in denen User*innen aus dem Wetterdiagramm ihrer Heimatstadt eine „Temperature Blanket” stricken: Für jede neue Temperaturperiode folgt eine neue Farbe und Reihe. Aber zurück nach Barcelona: Klar, besonders für Paloma Wool gehört der vielseitige Einsatz von viel Strick und Garnen zum Standard. Wenig überraschend also, dass das Label in dieser Saison den Streifen-Strick auch in Accessoires wie Balaclavas umsetzt. Das Label Escorpion hingegen verfolgt mehr den Ansatz eines „Salt and Pepper”-Looks und lässt seine Musterungen „ausfransen”. Klingt wie die entspanntere Vorlage für alle, die selbst zur Stricknadel greifen wollen!
Spitze bei Moises Nieto, Y Como, Eiko Ai und Custo Barcelona
Wie viele Interpretationen textile Begriffe à la „Spitze” haben können, hat die aktuelle 080 Barcelona Fashion Week ebenfalls bewiesen. Hier mal die Ergebnisse: Das klassische Spitzendeckchen von Omas Kaffeetisch griff zum Beispiel Moises Nieto auf, positionierte es aber am Saum eines sonst strengen schwarzen Etuikleids. Eine feine, mit durchsichtigen Stoffen verbundene Spitze zeigten wiederum Labels wie Eikō Ai oder Y_Como. Dabei gingen sie aber in entgegengesetzte Richtungen: Während Eikō Ai komplett dem zarten Look treu blieb, stand schwarze Spitze in Looks von Y_Como im Kontrast zu Leder und Silberketten. Abstrakter wurd’s bei Custo Barcelona: Zu den schlichteren Runway-Looks des sonst eher „lauten“ Labels gehörte ein weißes Oberteil, das aus mehreren kleinen Achtecken zusammengesetzt war. Zwar bestand dieses Top zu keinem Anteil aus Spitze, jedoch ist die Verbindung der einzelnen „Moleküle” mit dünnen Garnen eine Verarbeitung, die an Spitze erinnert. Was das zeigt? Diese Handwerkskunst birgt nicht nur jetzt schon viele Interpretationen, sondern dürfte auch in Zukunft Gegensätze in einer Kategorie vereinen.
In Kooperation mit 080 Barcelona Fashion.
Fotos: 080 Barcelona Fashion
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