Toyah Diebel über ihr Buch „Weiber“ & die Facetten von Feminismus

Toyah Diebel
Foto: PR
Ich möchte nicht mit dem erhobenen Zeigefinger herumlaufen und anderen den einen, richtigen Feminismus erklären. Dennoch merke ich immer wieder, dass vermeintlich aufgeklärte und emanzipierte Menschen, natürlich vor allem Männer, gar nicht merken, dass Frauen immer noch mit Unterdrückung und Benachteiligung zu kämpfen haben. Das Traurige ist, dass die Frauen das oft nicht mal mehr selbst merken, weil es eben so normal erscheint.

Genau diese „normalen“ und alltäglichen Situationen finden sich in einigen Geschichten meines Buches Weiber – Von Dinkelmüttern, Powerfrauen und anderen Emanzen wieder: Mal geht es um eine erwünschte, aber verweigerte Abtreibung, mal um ein aufgeschwatztes Anti-Aging-Produkt. Aber fast immer dreht sich alles um die Frage, ob die Protagonistin die Wahl hätte, etwas an ihrer Lage zu ändern. Wenn nicht, sollte man sich fragen, warum.

Die 24 Kurzgeschichten reichen vom oberflächlichen Koksgespräch auf der Toilette, bis hin zum Dasein einer verlassenen und verwahrlosten Ehefrau. Viele Situationen und Tragödien kennt man beim Lesen vielleicht sogar aus dem eigenen Leben, oder zumindest kennt man Irgendjemanden, der Irgendjemanden kennt, der das erlebt hat.

Leseprobe: „Weiber” von Toyah Diebel – Auszug aus „Iris“

Schon lange bevor er sie verlassen hatte, hätte sie den Braten (das junge Brathähnchen) riechen müssen. Auf einmal färbte er sich die grauen, schütteren Haare schwarz, pendelte nur noch zwischen Fitnessstudio und Sonnenbank und hatte seinen Kleidungsstil von „Hauptsache bequem und praktisch“ zu „Wie viele Applikationen passen auf eine einzige Hose?“ umgestellt. Sogar seinen Ehering hatte er abgelegt, weil er angeblich einfach nicht mehr so „der Gold-Typ“ war.

Sie vermutete eine typische Midlife-Crisis wie bei allen Männern um die fünfzig und hatte sich nichts weiter dabei gedacht. Das änderte sich allerdings an dem Tag, als die Maxipackung Viagra aus seiner Tasche fiel. Da mindestens die Hälfte der Tabletten nicht mehr im Blister steckte und er sein Ding seit Monaten auch nicht mehr in sie gesteckt hatte, flog sein Doppelleben auf. Sie vermutete erst ein Dauer-Abo im Puff oder höchstens eine Affäre, auf jeden Fall nichts, was man nicht mit einer kleinen Paartherapie oder einem gemeinsamen Traumurlaub unter Palmen als Zeichen der Versöhnung aus der Welt hätte schaffen können. Doch das Doppelleben hieß Jasmin, war neunzehn Jahre alt und nicht nur Praktikantin in seiner Speditionsfirma, sondern auch seit geraumer Zeit seine feste Freundin.

Sie war großer Fan von Billig-Lingerie, SpaHotels und gefühlsechten Kondomen, extrafeucht, das jedenfalls ließ seine Kreditkartenabrechnung vermuten. Als sie ihn eines Abends mit seiner Überführung konfrontiert hatte, war er jedoch nicht überrascht, sondern erleichtert, und zog innerhalb von einer Woche aus. Er sagte lediglich lapidar: „Ach, Iris, glaub mir, es ist besser so. Du verstehst das doch?“ Tat sie nicht, sie verstand gar nichts mehr, durfte aber als Entschuldigung, oder wohl eher als Entschädigung, weiterhin im gemeinsamen Haus wohnen bleiben. Es gehörte eigentlich ihm, das hatte er vor seinem Auszug freundlicherweise noch mal betont, schließlich hatte er es jahrelang abbezahlt, mit dem Geld, das er erarbeitet hatte. Sie hatte lediglich die vier Kinder großgezogen und deswegen nur einen sehr kleinen finanziellen Beitrag, nämlich gar keinen beigetragen und müsse eigentlich dankbar sein, denn anderen Frauen würde es nicht so gut ergehen. Er wünschte sich im Gegenzug eine Kontaktpause, er müsse das ja auch alles erst mal verarbeiten, wahrscheinlich mit Jasmin zusammen, gefühlsecht und extrafeucht.

Judith

Die kurze Fahrt im Aufzug reicht, um ihren Magen aus den Angeln zu heben. Der gestrige Abend wird noch mal kurz in Form eines säuerlichen Aufstoßens wiederbelebt, das muss wohl der Whiskey Sour sein, kein Wunder, davon hatte sie mindestens acht getrunken. Oder neun. Oder zehn. Abgesehen von dem ekelhaften Geschmack im Mund mag sie aber das Gefühl dieses morgendlichen Katers ganz gern, denn der war jetzt eher noch ein angenehm schnurrendes Kätzchen oder besser gesagt: Sie war noch besoffen. Guten Morgen, Donnerstag.

Ihre Agentur hatte einen Pitch gewonnen, also einen neuen Auftrag an Land gezogen, für den ihr Team und sie fast zwei Wochen durchgearbeitet hatten. Tag für Tag und Nacht für Nacht hatte sie auf ihr Privatleben verzichtet, ihre Wohnung vermüllen lassen und mit niemandem mehr als zehn Worte gewechselt, der nicht einer ihrer Kollegen war. Dafür hatten sie und ihr Team nun einen Etat von fast einer Million Euro für die Agentur erarbeitet, das größte Budget, das es jemals bei ihnen gegeben hatte, mit ihr als leitende Projektmanagerin. Bonuszahlungen gab’s bei ihnen nicht, weswegen ein Komplett-Ab- und Filmriss das Mindeste war, mit dem man sie belohnen konnte. Jeder wusste, wie legendär die Partys in ihrer Agentur waren, die wildesten Gerüchte waren bis über die Stadtgrenzen hinaus darüber im Umlauf, von denen das meiste aber auf jeden Fall der Wahrheit entsprach. Bestimmt gab es sogar den ein oder anderen Kollegen, der ausschließlich deswegen angeheuert hatte.

Das Prozedere so eines Abends war immer das gleiche. Wurde irgendein Etat oder Pitch gewonnen, ertönte ein lauter Gong durch das Großraumbüro, ausgelöst durch ihren Chef, der mit einem Baseballschläger gegen eine riesige Kneipenglocke schlug, die sie mal in einer ähnlichen Erfolg-Zelebrierungs-Nacht-und-Nebelaktion geklaut hatten. (Da waren sie auch nicht nüchtern gewesen, weswegen es auch irgendwie okay war.)

Den ganzen gestrigen Tag hatte sie auf diesen erlösenden Gong gewartet und wäre fast ohnmächtig vor Erleichterung vom Stuhl gerutscht, wenn ihr nicht Marius, der Art-Direktor, ein belebendes Glas Prosecco in die Hand gedrückt hätte, als es endlich passierte. Ihr Chef, der sich selbst den Namen »Alpha-Boss« gegeben hatte, stand unter der besagten Glocke und mit Baseballschläger auf der Schulter feierlich auf seinem Schreibtisch:

»Girls und Boys – was soll ich sagen: IHR. SEID. DER. SHIT. Wir haben denen da draußen wieder mal gezeigt, wer die wahren Motherfucker im Game sind, und sechs der größten Agenturen Deutschlands den Mittelfinger gezeigt. Wir haben den Pitch für diese Scheißbank gewonnen und werden diese Kuh jetzt abmelken bis zum Gehtnichtmehr. Mein besonderer Dank geht vor allem an Judith, unsere Juju, eine echte Powerfrau, die gezeigt hat, was sie für dicke Eier hat. Und jetzt lasst uns feiern!«

Alpha-Boss hatte ihr daraufhin mit einem Zwinkern zugeprostet und sie den Rest aus ihrem Glas in einem Zug runtergekippt.

Laura

Wollte sie ihm überhaupt irgendwas erzählen? Unnötige Panikmache, denkt sie sich, und lässt alle Spuren, die sie verraten könnten, tief unten im Mülleimer verschwinden. Wer weiß, wie oft sie diesen Kerl überhaupt noch sehen würde. Sie beide hatten die Fronten von Anfang an geklärt und sich geeinigt, außer Körperflüssigkeiten eher wenig miteinander auszutauschen. Ein toller Deal für alle, die keine Lust hatten, sich zu binden, ein unverständliches Mysterium für alle anderen. Die meisten Menschen in ihrem Umfeld hatten nämlich große Zweifel an ihrem vermeintlich einsamen Dasein, weswegen diese Zweifel natürlich auch sofort geäußert werden mussten, ungefragt versteht sich.

Bestimmt war die Kindheit schuld, besser noch der Vater, Vaterkomplex nannte man das dann, oder aber die nicht erwiderte erste große Liebe, ja das tut eben weh, ob sie nicht mal eine Therapie probieren wolle? Egal welche, es musste einfach eine Erklärung geben. Nicht liiert und glücklich sein, das war ein Ding der Unmöglichkeit und eine Selbstlüge obendrein. »Jeder ist auf der Suche, und niemand ist gern allein« oder »Warte ab, du hast einfach noch nicht deinen Traummann getroffen« waren Sätze, die sie sich unentwegt anhören durfte. Dabei war sie eigentlich weder verzweifelt auf der Suche nach dem Richtigen noch war sie eine verbitterte Mitdreißigerin. Sie war einfach nur Mitte dreißig und Single. Es war immer das gleiche Muster. Lernte sie neue Leute kennen, war spätestens nach dem ersten Kennenlern-Small-Talk über das aktuelle Wetter, das Thema Beziehungsstatus eingeläutet. Das führte zwangsläufig zu einem: »Oh … und wie lange bist du schon Single?« Die Frage allein schon triefte nur so vor Mitleid und war begleitet von bedauernden bis hin zu entsetzten Blicken, als hätte sie soeben von einem schweren Krebsleiden berichtet. Aber so schien es zu sein: Ein Single in ihrem Alter, dazu noch eine Frau, das war wie ein gefürchtetes Geschwür, Chance auf Heilung gleich null. Es fehlte nur noch, dass sie ihr, der armen alten Jungfer, vor lauter Mitleid auf die Schulter klopften.

In solchen Situationen machte es ihr oft Spaß, besonders laut zu erzählen, wie unwahrscheinlich viel Sex sie doch hatte, mit ständig wechselnden Männern und Frauen, manchmal auch alles gleichzeitig und vorzugsweise auf wilden Orgien, ja, ganz genau wie in diesen berüchtigten Gangbang-Pornos. Ja, richtig gehört, Gangbang. Das unterstrich sie dann mit einem theatralischen Seufzen und erklärte voller Bedauern, dass das eben nicht jeder Partner mitmachen würde, sie sich aber doch gern bei Interesse bei ihr melden könnten, und Freunde dürften sie natürlich auch gern mitbringen, je mehr, desto besser, kleiner Augenzwinker. Braucht noch jemand was von der Bar?

Text: Toyah Diebel

„Weiber“ erschien bei Komplett Media. Dieses Jahr kommt noch das Hörbuch. Und Toyah Diebel gibt es noch live und in Farbe am 12.12.2019 im Columbia Theater in Berlin. Karten für die Lesung findest du hier.

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