Färben, kürzen, reparieren: Wie und warum wir mehr aus Kleidung rausholen

Foto: Chuanyu/Pexels
Vintage-Shopping, Outfit-Swap und Kleidungsverleih sind Standard – was aber ist mit Handarbeit? Nicht nur TikTok-DIY-Bastler*innen wissen, dass es keine großen Skills braucht, um der Garderobe neues Leben zu schenken. Ein Plädoyer für mehr Reparaturarbeiten in der eigenen Garderobe.

An diesem Morgen macht ein Thema eher zufällig die Runde in der BLONDE-Redaktion. Eine Kollegin berichtet von ihrem Wochenende, an dem sie ein altes Hemd gebatikt hat. Und während wir darüber sprechen, sitze ich da, in selbst gekürzten Hemdsärmeln und eigens umgenähter Shorts. Als wir uns weiter über diese Anpassungen im Kleiderschrank austauschen, tut sich eine ganze Liste von textilen Reparaturen auf: Der eine hat eine Hose neu zusammengenäht, die andere ein altes Kleid mit Stoffen neu gestaltet. Die Reparatur, das Bearbeiten der eigenen Kleidung mag manchmal als verlorene Idee gelten. Hier scheint sie aber schon mal ein unerkannter Standard zu sein. 

„Es ist eine praktische Antwort auf die zunehmende Skepsis gegenüber der Modeindustrie und besonders beliebt bei der Gen Z, die nachhaltige Mode-Praktiken (…) schätzt.”
– aus „On Mending and the Meaning of Repearing” im Newsletter „Fashion Foreword”

Mehr als Reparatur an der Oberfläche

Neu ist diese Praxis natürlich genau deswegen nicht. Von den handwerklichen Fähigkeiten älterer Generationen mal abgesehen, mag sie in verschiedenen internationalen Kulturen – die weniger auf Wegwerf-Mode ausgerichtet sind als westliche Mehrverdiener-Mittelschichten – zum Alltag gehören wie der Waschgang. Außerdem erfreut sich die moderne Version der Änderungsschneiderei Beliebtheit auf TikTok und Co. Hier nähen Creator*innen alte Teile oder Vintage-Funde gerne mal zu neuen Looks um. Gefeiert werden solche Techniken spätestens seit Beginn der Pandemie nicht nur als kreativer Zeitvertreib, sondern auch als lobenswerte (weil nachhaltige) Taktik mit stilbewusstem Nebeneffekt. Im modekritischen Newsletter „Fashion Foreword“ heißt es zum Thema „Mending” (Englisch für Reparatur/Ausbessern): „Es ist eine praktische Antwort auf die zunehmende Skepsis gegenüber der Modeindustrie und besonders beliebt bei der Gen Z, die auch nachhaltige Mode-Praktiken wie Second-Hand-Shopping und Upcycling schätzt. Viele Modemarken fördern die Langlebigkeit ihrer Kleidung mit Programmen zum Ausbessern und der Wiederverwendung von Kleidung (…). Die Gründe [dafür] gehen jedoch über das Reparieren an der Oberfläche hinaus. Sie können sehr persönlich sein, aber auch Ausdruck eines globalen Anliegens.”

Wer an der Nähmaschine ein wenig erfahrener ist, kann selbst ausbessern. Aber auch wenn die Kleidung nicht defekt ist, lohnen sich verändernde Maßnahmen: Fransen und Färben, zum Beispiel. Fotos: Ksenia Chernaya & Teona Swift/Pexels

Die Kritik an einzelnen DIY-Trends

Und dennoch: Zu Teilen der genannten Neu-Näh-Praktiken gibt es unterschiedliche Meinungen. Sie werden zum Beispiel dann kritisiert, wenn „normschöne”, oft dünne Personen gezielt „Oversize”-Vintage-Kleidung kaufen, um sie dann vielleicht doch den eigenen Körpermaßen anzupassen, statt direkt in der eigenen Kleidergröße zu shoppen. Dadurch würden sie – so ähnlich formulieren es mitunter Kritiker*innen – Menschen mit größeren Kleidergrößen, denen der Markt ohnehin einen eingeschränkten Zugang zu (Vintage-)Shopping erlaubt, die Möglichkeiten auf eine diverse Auswahl nehmen. Noch einen weiteren Punkt gilt es zu beachten: Für viele Gruppen von Menschen sind die Bearbeitung und Reparatur der eigenen Kleidung aufgrund von Armut oder finanziellen Schwierigkeiten kein optionales, post-pandemisches Trend-Experiment, sondern eine Budget-Realität mit wenigen Alternativen. Das heißt natürlich nicht, dass wer über finanzielle Privilegien verfügt, nicht die eigene Kleidung reparieren sollte. 

Es lohnt sich, die Scham in Sachen Skills aus dem Weg zu räumen: Nicht jede Reparatur (wie ein angenähter Knopf oder ein gestopftes Loch) ist sichtbar oder muss perfekt sein.

Ein Hoch aufs (eigene) Handwerk

Für all diejenigen, die also in Zukunft mehr ausbessern wollen, hält Social Media Videos und Anleitungen bereit, mit denen simple Reparaturtechniken recht leicht zu erlernen sind. Hierbei lohnt es sich, die eigene Scham in Sachen Skills aus dem Weg zu räumen: Nicht jede Reparatur (wie ein angenähter Knopf oder ein gestopftes Loch) ist sichtbar oder muss perfekt sein. Wer partout nicht nähen will, kann zur Verbindung von Stoffen auch Bügelvlies verwenden, der durch den Hitze-Einsatz des Bügeleisens klebt. Für diejenigen, die wiederum schon mit den Grundlagen einer Nähmaschine umgehen können, eröffnen sich noch viel mehr Möglichkeiten: Hosen, Röcke und Kleider kürzen, Flicken aufnähen usw. All das schätzt nicht nur ein Handwerk, sondern die Lebensdauer eines Kleidungsstücks und muss nichts mit DIY-Klischees zu tun haben. Wer trotzdem keine Lust und ein wenig mehr Budget zur Verfügung hat, kann den Weg zur Änderungsschneiderei einschlagen. Damit investiert ihr auch in lokales Handwerk und individuelle Betriebe.

In komplizierteren Fällen ist für den „Redesign”-Ansatz ebenfalls der Gang zur Schneiderei sinnvoll. Ein altes Fast-Fashion-Kleid und eine Shorts könnt ihr dort mit zusätzlich gekauftem Stoff verlängern lassen.

Im eigenen Kleiderschrank anfangen: Es braucht keinen Upcycling-Hype und nicht unbedingt neu gekaufte Vintage-Schätze. Das Stichwort heißt „Mending” – reparieren, ausbessern. Foto: Karolina Grabowska/Pexels

Does it spark joy? Auch intakte Kleidung können wir bearbeiten

Es gibt natürlich noch weitere Fälle: Wenn zum Beispiel die eigene Kleidung nicht beschädigt ist, aber nicht mehr in den eigenen Style passt. In unserem Fall wäre das Ziel, dass sich die Frage von Aufräum-Queen Marie Kondo – „does it spark joy?” – demnächst nicht mehr mit „ja” oder „nein” beantworten ließe, sondern mit: „nein – aber könnte es wieder?“ Im Klartext: Wie kann ich ein Kleidungsstück so verändern, dass es seinen Platz in meiner Garderobe behält? Falls das Batik-Spiel vom Anfang zu sehr nach Bastelarbeit klingt: Dank Textilfarben aus der Drogerie lassen sich Baumwoll-Stoffe mit minimalem Aufwand zum Beispiel in der Waschmaschine umfärben, auch ganz ohne Batik-Effekt. (Es gibt auch Alternativen in Form von natürlichen, umweltfreundlicheren Färbemöglichkeiten.) Neben neuen Farben könnt ihr mit der Waschmaschine außerdem Fransen an Baumwoll-Kleidungsstücke hinzufügen. Und ja, Fransen sind an sich ein schwieriges textiles Thema. Wir meinen hier aber auch nicht die geschnittenen 2014-Tumblr-esque Versionen, sondern simple Fransen an einer Baumwoll-Hose, zum Beispiel. Dafür müsst ihr diese nur mit einer Schere abschneiden und in die Wäsche geben. Achtung: Bei T-Shirts und Stoffen mit Stretch-Anteil rollen sich die Schnitt-Kanten eher hoch. In komplizierteren Fällen ist für den „Redesign”-Ansatz ebenfalls der Gang zur Schneiderei sinnvoll. So hat eine Kollegin dort ein altes Fast-Fashion-Kleid und eine Shorts mit zusätzlich gekauftem Stoff verlängern lassen – zum Preis von nicht mal einem neuen Teil und ohne eigenen Arbeitsaufwand.

Die durch Patchworks unterteilte Hose, der zum Pullunder gewordene Pullover oder nur ein alter Knopf am neuen Sakko: Ideen irgendwo zwischen neuem Design und Reparatur. Collage: BLONDE Magazin

Fazit: „Mending” ist den Versuch wert

All diese Optionen machen aus unserer Redaktion oder eurem Haushalt keine Next-Level-DIY-Hochburg. Das müssen sie aber auch gar nicht sein. Es braucht keinen euphorischen Ucpycling-Spirit, keine überbordende Kreativität, krassen Näh-Skills oder extra neu angeschaffte Vintage-Schätze, um den Lebenszyklus des eigenen Kleiderschranks zu beeinflussen. Bei allem Zynismus ist dieser Beitrag zu umweltschonendem Kleiderkonsum trotzdem ein dankbarer Effekt, der unsere Auswahl an nachhaltiger Mode erweitert. „Mending” lohnt sich. Auf Englisch wird das schöne Wort übrigens auch in anderen Kontexten metaphorisch verwendet: Hier werden Beziehungen geflickt, also „mended“, und gebrochene Knochen wie Herzen ebenfalls per „mending” geheilt. Hätten wir ein deutsches Wort, das schöner klingt als „Reparatur”, so würden wir die dahinter verborgene Praxis vielleicht noch mehr als das verstehen, was sie ist: Nicht nur ein Zeichen von Stil, sondern von Fürsorglichkeit.

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