Aus Alge mach Mode: Im Interview mit Bio-Designerin Malu Lücking

Malu Lücking ist eine echte Algenexpertin. In ihrem Zimmer hat sie anstatt wie andere ein Aquarium mit Fischen, Gläser mit Algen. Diese nutzt sie zur wissenschaftlichen Forschung und dem Herstellen von natürlicher Mode. Im Interview verrät sie uns, wie sie zu dieser Leidenschaft gekommen ist, inwiefern Algenfasern mensch – und umweltfreundlich sind und wie der Textilprozess abläuft.

Zu viel Müll und Wasserverbrauch in der Textilindustrie ist bekanntermaßen ein riesiges Problem unserer Welt. Wann wurde dir klar, dass du in deiner Bachelor-Arbeit zur Lösung beitragen möchtest?
Vor knapp zwei Jahren habe ich ein Praktikum in der italienischen Textilindustrie gemacht. Ich war dort als Praktikantin in einer Firma die einen großen Namen hat und vor allem für ihre Qualität und tolle Verarbeitung bekannt ist. Leider musste ich schnell feststellen, dass selbst hier alles andere als nachhaltig produziert wird. Abgesehen davon, unter welchen Umständen die Menschen dort an den Maschinen arbeiten, war es erschreckend zu sehen, wieviel Abfall diese Industrie produziert. Obwohl diese Firma vorwiegend mit natürlichen Fasern gearbeitet hat (dementsprechend Mikroplastik oder Abbaubarkeit nicht das große Thema waren), schwimmen die Stoffe beim Färben in riesigen Wannen voll toxischer Chemikalien. Als ich das gesehen habe und meine Praktikums-Partnerin, die plötzlich aus dem Färbelabor rannte um sich wegen des Gestankes zu übergeben, habe ich mich dazu entschlossen in Zukunft nicht mehr „nur“ schöne Muster zu gestalten, sondern mit Materialien zu arbeiten die mensch – und umweltfreundlicher sind als das, was ich dort gesehen habe.

Wie bist du darauf gekommen, dich ausgerechnet näher mit Algen zu beschäftigen?
Das Interesse für Algen besteht bei mir schon seit langer Zeit. In einem meiner ersten Projekte an der Uni habe ich mit Dinoflagellaten gearbeitet, das sind Algen die das sogenannte Meeresleuchten verursachen. Damals habe ich mit den Algen noch keine nachhaltigen Textilien hergestellt, sondern sie als Erzähler bzw. Kommunikationspartner genutzt. Die Idee dahinter war, dass wir statt mit Worten, auch durch z.B. Lichtsignale mit anderen Spezies kommunizieren können. Dann habe ich einige Zeit bei dem Künstler Andreas Greiner im Studio gearbeitet und dort weitere Mikroalgen erforscht, bis ich im Teich hinter dem Atelier in der Malzfabrik schließlich auf filamentöse Algen aufmerksam geworden bin. Diese filamentösen Algen haben dort den ganzen Teich überwuchert haben. Nachdem der Hausmeister ein Schild mit der Aufschrift „Baden verboten wegen Algenblüte“  aufgestellt hat, bin ich tiefer in das Thema der Süßwasseralgen eingetaucht.

„Die Algen sind eigentlich wie meine Zimmerpflanzen“

Wie können wir uns deine Algenforschung zuhause so vorstellen?
Die Algen sind eigentlich wie meine Zimmerpflanzen. Sie stehen auf dem Fensterbrett, auf dem Schreibtisch und neben dem Bett. Ich experimentiere wie die Algen auf Sonneneinstrahlung reagieren, wieviel Licht sie brauchen und mit wie wenig sie auskommen können. Seit zwei Jahren habe ich auch die Dinoflagellaten bei mir im Kleiderschrank. Diese Algen brauchen einen exakten Rhythmus von Licht und Dunkelheit. In ihrer gewohnten Umgebung laden sie sich energetisch durch das Tageslicht auf und können im Dunkel schließlich leuchtende Funken abgeben.

„Ich habe meine Algen darauf trainiert tagsüber zu leuchten, deshalb geht abends um 19 Uhr im Kleiderschrank die künstliche Sonne auf und leuchtet bis morgens durch“

Ich habe meine Algen darauf trainiert tagsüber zu leuchten, deshalb geht abends um 19 Uhr im Kleiderschrank die künstliche Sonne auf und leuchtet bis morgens durch. Das Herzstück meiner Algenfarm ist schließlich mein selbstgebautes „Laborregal“, dort wachsen die Algen unter perfekten Licht und werden dort auch mit Sauerstoff aus Luftpumpen versorgt. Morgens früh werde ich immer von den Aquariumpumpen geweckt, das ist Gewohnheitssache aber mittlerweile angenehmer als der Handywecker. Die Fütterung und das „Umtopfen“ findet einmal die Woche, meistens am Sonntag statt. Eigentlich ist es wie ein Zimmer mit vielen Haustieren und Pflanzen, nur dass es eben Algen in Gläsern sind.

„Es werden keine Chemikalien hinzugegeben oder andere Additive benutzt, nur die pure Alge“

Kannst du uns den Prozess von Alge bis zur Textilfaser kurz erläutern?
Ins Detail möchte ich hierbei nicht gehen, da dies natürlich meine Forschungsgeheimnisse sind. Der Prozess ist jedoch recht kurz und simpel. Die Algen, die ich verwende, sind filamentöse Algen, das bedeutet dass sie von Natur aus in Faserform wachsen. Wie Fasern, die wir aus Baumwollpflanzen oder Bambus gewinnen, nur dass die Algenfasern aus dem Wasser geerntet werden können. Je nachdem welche Garnqualität man haben möchte, kann man die Algen zunächst trocknen oder direkt im nassen Zustand verspinnen. Zum Verspinnen habe ich mir eine kleine Spinnmaschine gebaut, die von einem Motor angetrieben wird. Nach ein wenig üben geht das Spinnen dann doch recht schnell und einfach. Das wars eigentlich auch schon, es werden keine Chemikalien hinzugegeben oder andere Additive benutzt, nur die pure Alge.

Es gibt über bereits 40.000 erforschte Algenarten. Welche magst du besonders gerne und warum?
Das ist sehr schwer zu sagen, bis jetzt hatte ich noch nicht die Ehre all diese 40.000 Arten kennenzulernen. Im textilen Kontext ist die Cladophora am interessantesten für mich aus dem einfachen Grund, dass sie von Natur aus in Fasern wächst. Viele Fasern die wir in der Textilindustrie nutzen, müssen einige Prozesse durchlaufen bis aus der Pflanze schließlich eine Faser entsteht die weiterverarbeitet werden kann. Aus Cladophora entsteht nicht eine Faser, Cladophora ist eine Faser. Auf der Forschungsebene gibt es aber noch so viele andere interessante Algen. Es gibt Algen die z.B. ihre Farbe verändern je nach Sonneneinstrahlung um sich vor den UV Strahlen zu schützen und es gibt Algen mit heilenden Wirkungen. Nicht um sonst sind Algen in anderen Teilen der Welt so populär.

„Ich denke die Zukunft der Textilindustrie liegt nicht darin in Zukunft alle Textilien aus Algen zu produzieren, viel mehr geht es darum der Industrie eine Alternative zu bieten zu den zur Zeit überkonsumierten Fasern wie Baumwolle“

Algen wachsen schneller als Bambus, speichern Millionen Tonnen Kohlenstoff und reinigen die Ozeane. Was sind Vorteile der Verwendung von Algen zur Textilherstellung gegenüber herkömmlichen Materialien wie Baumwolle?
Ich denke die Zukunft der Textilindustrie liegt nicht darin in Zukunft alle Textilien aus Algen zu produzieren, viel mehr geht es darum der Industrie eine Alternative zu bieten zu den zur Zeit überkonsumierten Fasern wie Baumwolle. Wäre die Nachfrage nach Baumwolle nicht so immens, dann müssten die Bauern ihrer Baumwollpflanzen nicht mehr mit großen Mengen Düngemittel und Pestizidbekämpfungsmitteln „dopen“. Vielleicht würde Baumwolle auch nicht mehr in den trockensten Regionen der Erde angebaut werden, wo der Anbau den Einwohner das Trinkwasser wegnimmt. Algen sollten als Alternative allerdings in Betracht gezogen werden, denn sie brauchen keine Ackerflächen um zu wachsen, kein zusätzliches Wasser oder Düngemittel. Außerdem produzieren sie in ihrer Wachstumsphase große Mengen Sauerstoff. Im Falle der Cladophora, der Alge mit der ich arbeite, kommt hinzu das die Alge durch den Klimawandel und die Agrarwirtschaft unkontrolliert wächst und von den Gewässern entfernt werden muss, um das Ecosystem in Balance zu halten. Noch ist die Cladophora ein Abfallprodukt, so wie Unkraut, wenn sie geerntet wird, dann nur um die Gewässer vor dem Umkippen zu schützen. Die Biomasse wird dann entweder auf den Kompost geworfen oder verbrannt. Deshalb ist es Zeit, diesem Abfallprodukt einen neuen Sinn zu geben.

„Das Bewusstsein der Konsumenten verändert sich durch die vielen Debatten in den Medien. Wenn die Verbraucher nach diesen Alternativen fragen, dann muss die Industrie früher oder später mitziehen um bestehen zu bleiben“

Warum werden dann nicht schon längst alle Kleidungsstücke aus Algen gemacht?
Wenn man sich einmal anguckt, welche Fasern kommerziell auf dem Markt verfügbar sind, dann stellt man schnell fest, dass es dort sehr wenig Auswahl gibt. Neben Baumwolle, synthetischen Fasern und Wolle gibt es nur wenige „Nischen“-Produkte wie Jute oder Bambus. Bisher war die Industrie nicht bereit Alternativen in Erwägung zu ziehen, weil Konsumenten bisher auch nicht nach Alternativen gefragt haben. Ich habe das Gefühl, dass sich das in diesem Moment ändert. Das Bewusstsein der Konsumenten verändert sich durch die vielen Debatten in den Medien. Wenn die Verbraucher nach diesen Alternativen fragen, dann muss die Industrie früher oder später mitziehen um bestehen zu bleiben. Vielleicht ist die Industrie jetzt langsam bereit ihre Textilien aus Algen herzustellen. Das werden wir hoffentlich bald erfahren.

„Gerade, weil es so viele Algenarten mit den unterschiedlichsten Formen und Besonderheiten gibt, bin ich davon überzeugt das wir aus Algen so gut wie alles herstellen können“

Was hast du dir selbst zuletzt aus Algen hergestellt?
Bisher handelt es sich noch um einen Prototypen, aber ich habe aus Algen-Resten und kurz faserigen Algen vor ein paar Wochen einen Regenmantel geschneidert. Grad bin ich dabei ein Coating zu entwickeln, um diesen Algen-Bioplastik-Mantel noch wasserabweisender zu machen. Ob mir das gelingt wird sich bald zeigen.

Algen werden auch vermehrt in Essen und Kosmetik verwendet. Hast du damit auch schon Erfahrungen gemacht?
Das Semester vor meiner Abschlussarbeit habe ich gemeinsam mit einer Kommilitonin der Weissensee Kunsthochschule und einer Studentin der Polymerforschung an der Technischen Universität an diesem Thema geforscht. In der Lebensmittelindustrie und Kosmetik wird allerdings nur ein Teil der Alge eingesetzt. Sie arbeiten mit Alginat oder Agar Agar. Diese sind Substrate die aus der Braun bzw. Rotalge gewonnen werden können. Diese Algen wachsen, anders als Cladophora, im Meer und werden dort auch schon kommerziell kultiviert. Letztes Jahr haben wir aus dem Alginat und weiteren Additiven (die Forschungsgeheimnis sind), erfolgreich einen Faden hergestellt. An diesem Projekt forschen wir auch weiterhin.

Was ist das nächste große Ziel mit deiner Algenforschung?
Zunächst einmal möchte ich noch weiter an den Algen forschen, die ich bereits kenne. Ich möchte auch über den textilen Kontext hinaus schauen, was mit diesen Algen möglich ist und wo sie eine Anwendung finden können. Es gibt auch bei den Cladophora-Textilien noch einige Materialeigenschaften die verbessert werden können. Deshalb hoffe ich bald einen Materialwissenschaftler_in an meiner Seite zu haben, der Lust hat mit mir an diesen Eigenschaften zu feilen. Etwas weiter in die Zukunft gedacht möchte ich eine Plattform schaffen, die für unterschiedliche Produkte eine Lösung aus Algen bietet. Gerade, weil es so viele Algenarten mit den unterschiedlichsten Formen und Besonderheiten gibt, bin ich davon überzeugt das wir aus Algen so gut wie alles herstellen können.

Mit ihrem innovativen Ansatz schaffte es Malu auf den dritten Platz der „Dopper Changemaker Challenge“: Bewusstsein schaffen, Wissen vermitteln, um ein Umdenken zu bewirken – darum geht es in dem Wettbewerb, der seit 2016 stattfindet und internationalen Absolventinnen und Absolventen (Bachelor/Master) bei ihrem Karriereeinstieg als „Weltverbesserer“ unterstützt. Dieses Jahr pitchten 13 Studenten aus ganz Deutschland ihre Ideen zur Lösung der Wasser- oder Plastikmüllproblematik vor einer Fachjury am Landwehrkanal in Berlin,  für den ersten Platz gab es ein Preisgeld von 5.000 €.

 

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