Über Queer-Sein, Verletzlichkeit und ihr neues Album „Matriarchy”: Musikerin Girli im Interview

Girli
Foto: Claryn Chong
Zwischen pinken Wolf Cuts, Femininität und sapphic Songtexten, will Girli mit ihrer Musik eine sichere Bubble schaffen. Wir haben sie zum Interview getroffen.

Girl Dinner, Girlhood und Freund*innen, die sich gegenseitig „Girlie” nennen. Dazed ernannte das Jahr 2023 zum „Year of the Girl” und die britische Sängerin Girli will mit ihrem neuen Album dazu beitragen, dass auch dieses Jahr Girlhood ein Fokusthema bleibt. Mit „Matriarchy“ gibt die 26-Jährige nicht nur ein Statement gegen das Patriarchat ab, sondern will auch eine sicherere Bubble schaffen, in der sich ihre Fans vor den Herausforderungen der Welt geschützt fühlen und abschalten können. Amelia Toomey aka Girli wuchs in einer Künstler*innenfamilie im Norden Londons auf. Doch anstatt sich wie ihre Eltern für die Schauspielerei zu entscheiden, begann sie schon in der Schule mit der Musik. 2015 releaste Girli mit gerade mal 17 Jahren ihre Solo-Debütsingle „So You Think You Can F*ck With Me Do Ya“, dort sang sie über das Erwachsenwerden, Liebe und die Frustration, die mit ihr kommt. Seitdem verarbeitet Girli Themen wie mentale Gesundheit, Imposter Syndrom, Body Image und Queer-Sein durch das Schreiben von Songs. Unter anderem durch Musikvideos mit aufwändigem Styling und Set Design, schafft sie eine bunte Bubble, in der Femininität gefeiert und Normen infrage gestellt werden. Im Interview spricht sie darüber, wie sie mit ihrer Musik erwachsen wurde, Veränderungen, Repräsentation und das neue Album „Matriarchy”.

Foto: Claryn Chong

​​BLONDE: Hinter deinem Namen „girli“ steckt ein besonderer Twist. Kannst du uns erzählen, wie du das Stigma, das dem Wort „girly”anhaftet, genutzt und umgewandelt hast?
Girli: Ich habe „Blondie” geliebt und fand es toll, dass Debbie Harry die Band so genannt hat. Das war ein Wort, das oft von Männern benutzt wurde, um sie kleinzumachen. Dass sie ein Wort genommen hat, das dazu genutzt wurde, sie zu verspotten und sie dieses zurückerobert hat, hat mich inspiriert. „Girly“ ist ein beschreibendes Wort. Als ich aufgewachsen bin, war es negativ konnotiert. Es hieß: „Oh, das ist wirklich girly.” Es wurde verwendet, um zu sagen, dass etwas uncool oder albern ist. Und mir wurde klar, dass das damit zusammenhängt, wie die Menschen Weiblichkeit schon immer gesehen haben. Der Hass auf die Weiblichkeit ist auch ein Ursprung für Homophobie. Die Gesellschaft hat also diese große Angst vor der Femininität. Ich denke, wenn etwas girly ist, dann ist das cool!

In deiner Musik geht es oft um gesellschaftliche Normen und persönliche Probleme. Wie siehst du deine Rolle als Künstlerin, wenn es darum geht, diese Normen zu hinterfragen und den Menschen eine Stimme zu geben?
Ich habe mich als Mensch schon immer für soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Als ich dann anfing, Musik zu machen, fühlte es sich einfach natürlich an, das mit einzubeziehen. Und jetzt, wo ich eine Plattform habe, auf der ich Menschen durch meine Musik und meine sozialen Medien erreichen kann, möchte ich das nutzen, um gute Veränderungen zu fördern und zu Bewegungen beizutragen. Songwriting ist für mich wie Tagebuch schreiben, also eine Art öffentliche Verarbeitung. Die Themen liegen mir sehr am Herzen, und so spreche ich auch in meiner Musik sehr offen über Feminismus, Queerness und psychische Probleme.

Mit dieser Offenheit machst du dich auch verletzbar,  wie gehst du damit um?
Ich war schon immer gut darin, verletzlich zu sein und mein Herz auf der Zunge zu tragen. In meiner Familie gibt es viele Künstler*innen, dort ist es ganz normal, Gefühle zu empfinden und über diese zu sprechen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass das immer die Norm für mich war. Verletzlichkeit ist für mich ganz natürlich. Ich habe definitiv das Glück, dass ich eine Fan Community  habe, die mich darin unterstützt, über alles zu reden und verletzlich zu sein. Wenn ich nicht offen und ehrlich über diese Dinge sprechen könnte, dann würde ich einfach explodieren.

girli
Foto: Claryn Chong

2019 hast du dein erstes Album „Odd One Out” veröffentlicht. Fühlt sich dieser Release anders an?
Es fühlt sich so anders an! Im Jahr 2019 war ich 21, jetzt 26. In deinen frühen 20ern passiert so viel und du findest heraus, wer du bist. Man entwickelt ein starkes Selbstbewusstsein durch Erfahrungen, viele davon auch schlecht. Einige Leute sagen, die frühen 20er sind die beste Zeit deines Lebens. Ich denke, sie sind hart. Du kämpfst, vor allem, wenn du eine Frau, eine Minderheit oder eine LGBTQIA+ Person bist, mit so vielen Dingen, die mit Selbstachtung und Selbstakzeptanz zu tun haben und damit, deine Community zu finden. Deswegen fühlt sich dieses Album so viel reifer an. Es fühlt sich viel mehr nach mir an, viel authentischer. Als das erste Album herauskam, habe ich es bei einem Major-Label veröffentlicht. Jetzt bin ich unabhängig und ich habe viel mehr kreative Freiheit und Kontrolle.

In den letzten Jahren hat sich die Rolle der sozialen Medien bei der Veröffentlichung neuer Musik stark verändert, insbesondere durch TikTok. Wie wirkt sich das auf deine Kreativität und die Verbindung zu deinen Fans aus?
Es ist sowohl eine gute als auch eine schlechte Sache. Wir sind jetzt in diesem Zeitalter, in dem im Grunde 90 % der Vermarktung und Promotion der Musik in der Verantwortung der Künstler*innen liegt. Das bedeutet, dass jede*r, egal ob er*sie ein Label hat oder nicht, egal ob große oder kleine Künstler*innen, Musik vermarkten und organisch wachsen kann, was so toll ist. Aber auch, dass es definitiv eine dunkle Seite gibt. Wir brauchen eine bessere Balance. Im Moment dreht sich alles um TikTok und Social Media und darum, dass dein Song auf TikTok auftaucht. Ich würde gerne sehen, dass das nicht der einzige Weg ist, um dich zu promoten.

Foto: Claryn Chong

Deine Single „Matriarchy” feiert Liebe in einem queeren Kontext. Kannst du mehr über die Single und ihre Rolle im kommenden Album erzählen?
Ich habe darüber nachgedacht, wie das Patriarchat die Menschen und mich beeinflusst. Ich bin eine Frau, also bestimmt es im Grunde mein ganzes Leben. Aber auch das Leben von Menschen generell, weil es das Verhalten aller verändert, unabhängig vom Geschlecht. Für mich gibt es Zeiten, in denen ich das Patriarchat ausblenden kann. Und zwar, wenn ich in meiner Bubble bin, zusammen mit meiner Freundin und queeren Freund*innen und es gibt nur uns. Mir wurde klar, dass wir Frauen, aber vor allem queere Frauen, uns diese Bubbles erschaffen, sei es mit unseren Freund*innen, Partner*innen oder einfach nur mit uns selbst, um uns vor den Gefahren des Patriarchats zu schützen. Ich dachte: Oh mein Gott, wir erschaffen unser eigenes Matriarchat, wo nichts von diesem Scheiß existiert. Also habe ich einen Song darüber geschrieben. Ursprünglich sollte das Album „Nothing Hurts Like a Girl” heißen. In letzter Minute habe ich beschlossen: Es macht so viel mehr Sinn, dass es „Matriarchy” heißt, weil es bedeutet, dass das ganze Projekt auch in diesem Safer Space stattfindet.

In „Be With Me” singst du davon, deine „Future Wife” zu treffen. Kannst du mehr über den Hintergrund des Songs erzählen?
Dieser Song ist der erste Track des Albums. Denn ich mag es, dass die Leute die Zeile „I just met my future wife” hören und sie nicht gleich erkennen, dass ich von mir selbst spreche. Ich befand mich zwischen Beziehungen und hatte eine Art Offenbarung, die ich vorher noch nie hatte: Ich brauche im Moment wirklich niemanden. Ich bin froh, dass ich jetzt allein sein kann, dass ich meine eigene beste Freundin und meine eigene Partnerin bin. Und ja, „Be With Me” ist wie ein Liebesbrief an mich selbst. Es ist einfach diese wunderschöne Offenbarung der Selbstliebe. 

Du gehst bald auf Tour, bringst neue Musikvideos und natürlich dein Album „Matriarchy” raus. Worauf freust du dich besonders?
Auf die Tour! Denn das wird das erste Mal sein, dass ich die Songs des neuen Albums live spiele. Und ich kann es kaum erwarten, die Reaktionen der Fans zu sehen. Aber ich freue mich auch sehr auf die Veröffentlichung generell. Ich mag die Vorstellung, dass die Leute eine Stunde Musik von mir am Stück hören können,  sich mit mir als Künstlerin auseinandersetzen und dann hoffentlich das Gefühl haben, mich ein bisschen besser zu kennen. Ich habe das Gefühl, dass ich an dem Tag, an dem das Album herauskommt, vor Aufregung schreien werde!

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