Confessions of a Big Girl – Warum ich meinen Körper nicht lieben kann

Curvy POC Frau Nahaufnahme Bauch
Foto: Pexels
Für unsere Autorin ist Body Positivity nicht der Schlüssel zum Glück. Wie sie durch Social Media erkannte, dass ihr Selbstliebe nicht so wichtig ist, lest ihr hier.   

Triggerwarnung: Dieser Beitrag thematisiert Körperschemastörungen und Depressionen. 

Mein „Roman Empire” ist der Gedanke daran, schlank zu sein. Es gibt eine Welt der Imagination, in der die schlanke Jenni ihr Leben in jeglicher Hinsicht besser meistert als die reale Person, die ich bin. Diese Superheldinnen-Version meiner selbst ist selbstbewusst. Sie betritt einen Raum und wird wahrgenommen. Sie ist informiert, interessiert und talentiert. Sie strahlt und ist für alle Spontanitäten zu haben. Sie kann alles anziehen, ist natürlich super ordentlich, hat eine Morgen- und Abendroutine und geht dreimal die Woche zum Sport. Diese Person erinnert mich entfernt an eine frühere Version meiner Selbst. 

Ich vermisse sie und bin von Neid zerfressen. Und von Reue. Denn wenn ich in den Spiegel sehe, dann erkenne ich in einem flüchtigen Moment das gleiche Glitzern in meinen Augen. Wenn ich mich in viel zu enge Oberteile zwänge und den Bauch so stark wie möglich einziehe, mich seitlich hinstelle, dann erinnere ich mich daran, wie ich vor vier Jahren einmal aussah.

 

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Ein Beitrag geteilt von Nicole Zajac Anderson (@nicolezaajac)

Schlank = Schön ? 

Nach den ersten zugelegten Kilos habe ich meine neue Figur noch zelebriert. Ich wollte mich und meinen Körper in jeder Form und Phase lieben. Außerdem war ich ja immer sportlich, sagte ich mir und könnte die Kilos jederzeit abnehmen, wenn ich wieder regelmäßig ins Fitnessstudio gehen würde. 

Als ich mir eingestehen musste, dass es wohl nicht nur eine vorübergehende Phase war, fing ich an, alles zu hinterfragen. Meine ganze Person und Wirkung auf andere Menschen. Wer war ich, wenn ich nicht mehr die schlanke, selbstbewusste und junge Frau war, deren Chaos immer einen charmanten Touch hatte? War mein, den gesellschaftlichen Schönheitsidealen entsprechendes Aussehen der Grund dafür, dass ich selbstbewusst war? War meine gute Figur der Schlüssel, der mir Türen öffnete und mir Aufmerksamkeit verschiedener Art bescherte? Und ganz essentiell: Bedeutet schlank sein gleich schön sein? Ich erkannte mein Thin Privilege erst als ich es verlor.

In einer Gesellschaft aufzuwachsen, in der ich seit meiner Kindheit immer mit anderen Mädchen verglichen wurde, hat bestimmt zu meiner Identitätskrise beigetragen. „Ist nicht so schlimm, wenn du nicht so gute Noten schreibst wie andere Mädchen. Manche haben es im Kopf und manche eben nicht. Dafür bist du hübsch genug.” Insert Modeljob, reich heiraten, Frauenquote als potentielle Zukunftsperspektive. Das charmant-chaotische Mädchen war plötzlich das dicke, unordentliche Mädchen, dem die Unzufriedenheit und Unsicherheit deutlich ins Gesicht geschrieben stand. 

War meine gute Figur der Schlüssel, der mir Türen öffnete und mir Aufmerksamkeit verschiedener Art bescherte? Und ganz essentiell: Bedeutet schlank sein gleich schön sein?

Body Positivity, not for me 

Das Body Positivity Movement auf Social Media holte mich ab. Zumindest so, dass ich daran arbeitete, mehr in mir zu sehen als eine Hülle, die dazu da war schön auszusehen. Ich wurde sauer auf die Gesellschaft, die mir den „Male Gaze” aufdrückte und mir vermittelte, dass mein persönlicher Wert an mein äußeres Erscheinungsbild gebunden sei. Ich war sauer und abgeturnt von Männern, die mich plötzlich behandelten, als wäre ich unsichtbar. Oder aber von Männern, die mich ausschließlich in die „Sex- Kategorie” und nicht in die „Girlfriend- Material- Kategorie” einordneten.

Curvy POC Frau in Unterwäsche
Foto: Pexels

Online sah ich wunderschöne, curvy Frauen, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzen und in mir eine neue Art von Respekt und Bewunderung auslösten. Ich fand Frauen mit kurvigen Figuren schon immer schön und fühlte mich auch von ihnen angezogen. Aber mich selbst bewertete ich anders. Bei mir selbst gab es nur kurze Momente, in denen ich mich schön fand. Manchmal gefiel mir mein Outfit und ich fühlte mich in dem Augenblick wohl, nur um dann später auf Bildern und ungünstig angebrachten Spiegeln einen Blick zu erhaschen, der mir die Realität vorhielt: Ein aus der Form geratenes Abbild meiner Selbst. Ich fühlte mich unsichtbar an guten Tagen, wie ein Monster an schlechten. 

Online sah ich Videos, in denen Frauen ihren „Bauchspeck“ mit einer Hand griffen und stolz der Kamera präsentieren. Die Botschaft von Body Positivity war mir immer bewusst. Ich bin schön – nicht trotz meiner Figur, sondern wegen ihr. 

Ich folgte vielen Body Positivity Influencer*innen aber kam selten über die Bewunderung für sie hinaus. Ich konnte mich selbst einfach nicht in dem gleichen Licht sehen. Videos mit dem Hashtag  #cleangirl wurden mir in die Timeline gespült. Die weißen, blonden, dünnen Girls, die nicht nur „clean” aussahen, sondern deren gesamter Tagesablauf vom Essen bis zur Haushaltsführung durch und durch „clean” und damit das Gegenteil von meinem Leben waren. Und deren idealisiert weißes Aussehen für mich als POC ohnehin unerreichbar war. Dazu kamen Motivationsvideos von „Gym Rats”, hinterlegt mit einem Sound, bei dem ein Typ mit lauter und eindringlicher Stimme erklärte, was einen erfolgreichen „Macher” ausmache. Die Antwort: Mindset. Natürlich hatte ich Phasen, in denen ich exzessiv Sport machte und Diäten jeder Art ausprobierte. Jeden Tag Gym und dann irgendwelche Shakes trinken anstatt etwas zu essen. Was weder etwas an meinem Gewicht noch an dem eigentlichen Problem nachhaltig änderte. 

Diese Motivationsvideos hatten immer einen Nebeneffekt. Die leise Stimme in meinem Kopf, die sagte, schlank zu sein sei besser, wurde immer lauter. Schlanke Menschen wären erfolgreicher, gesünder und bewundernswerter. Schlanke Menschen haben ihr Leben im Griff. Mein Algorithmus bemerkte die stetige Änderung meiner Gedankenwelt schneller als ich. Die 90er fanden sich ab sofort nicht nur als Fashion-Inspiration in meinem Feed wieder, sondern auch der damit verbundene „heroin chic” Körperkult. Denn Low Waist Jeans sehen auch nur gut aus, wenn darüber Bauchmuskeln und nicht ein dicker Bauch zu sehen sind. Oder? 

Eine unangenehme Wahrheit ist, dass ich oberflächlich bin und die Vergangenheit romantisiere. Ich verurteile mich dafür, nicht mehr den Körper zu haben, den ich mit Anfang zwanzig hatte. 

Umgeben von Spiegeln 

Kann man body positiv sein, wenn man sich insgeheim danach sehnt, schlank zu sein? War ich „besser“ als ich noch schlank war ? Ich stehe in einem Labyrinth aus Spiegeln, die nur weitere Fragen aufwerfen. Aber am Ende bleibt eines gleich. Ich bin umgeben von Spiegeln. Eine unangenehme Wahrheit ist, dass ich oberflächlich bin und die Vergangenheit romantisiere. Ich verurteile mich dafür, nicht mehr den Körper zu haben, den ich mit Anfang Zwanzig hatte. 

Hier eine Liste der Dinge, die ich mit Anfang zwanzig nicht hatte: 

Eine diagnostizierte rezidivierende depressive Störung. 

Eine Körperschemastörung, die dazu führte, dass ich meinen eigenen Körper anders wahrnahm als er in der Realität aussah. Hässlicher, dicker und unförmiger in meinem Fall. 

Die hormonelle Dysbalance, die durch das Absetzen der Pille ausgelöst wurde und meinen Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht brachte. Eine Begleiterscheinung davon kann unter anderem eine Gewichtszunahme sein. 

Dinge die ich mit Anfang zwanzig und auch jetzt habe: 

Einen Körper ohne erhebliche körperliche Einschränkungen. Ich kann laufen, sehen, eigenständig atmen, mich selbstständig durch diese Welt manövrieren. 

An manchen Tagen hilft ein Perspektivenwechsel. Ich habe einen Körper. Ich bin nicht mein Körper. Dieser Ansatz von Body Neutrality bringt mich weg von Oberflächlichkeit, Schönheitsidealen und Verurteilung hin zur Akzeptanz. Für den Moment reicht das aus, um mich aus dem Spiegellabyrinth zu befreien.

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