Auf der Suche: Fletcher über Gegenmittel, Mental Health und Selbstfindung

Foto: Sebastian Faena
Zwischen Gesundheit, Touren und viralen queer Anthems – Sängerin Fletcher spricht von der Balance in der Musik und der Suche nach sich selbst.

Silvester 2022: Fletcher performt gemeinsam mit Miley Cyrus „Midnight Sky“. Beide haben halb blondierten Haare und tragen glitzernde Outfits. Für viele queer People wurde dieser gemeinsame Auftritt zu ihrem persönlichen Roman Empire. Auch für Fletcher, die der Performance in „Doing Better”, dem zweiten Song auf  ihrem Album „In Search of the Antidote”, eine Zeile widmet. Nur einige Monate bevor sie die Bühne an Silvester betrat, releaste die Sängerin ihr Studioalbum „Girl of my Dreams” und ihre Songs gingen auf TikTok viral. Der catchy Pop-Sound mit queeren Lyrics gepaart mit einem Musikvideo, in dem Bella Thorne mitspielte, brachte ein erfolgreiches Jahr 2022 zu Ende. 

2023 startete Fletcher mit ihrer ersten Tour, musste aber aus gesundheitlichen Gründen die letzten Auftritte des Jahres absagen. So folgte für sie ein Weg der Reflexion, der Fokus auf körperliche und mentale Gesundheit und auch die Arbeit an ihrem Album „In Search of the Antidote”, welches am 22. März veröffentlicht wurde. Fletcher aka Cari Elise Fletcher wuchs in Asbury Park, New Jersey auf und spürte schon früh, wie es ist queer in einem konservativen Space aufzuwachsen. Ihre erste EP „Finding Fletcher” brachte sie 2016 heraus, drei Jahre später schaffte sie es mit „Undrunk” in die Billboard Hot 100 und auf Platz 1 der viralen US-Charts auf Spotify.

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Zwischen den Zeilen ihrer frisch releasten Songs geht es – genauso wie in diesem Interview – um die Bedeutung von Mental Health und Selbstakzeptanz in einer Welt, die ständig im Wandel ist. Und um die Suche nach einem Gegenmittel.

BLONDE: Erzähl uns von deinem kreativen Prozess. Wie schreibst du neue Songs und wie war es bei „In Search of The Antidote”?
Fletcher: Manchmal gehe ich für eine Weile weg, tauche in meine Gefühle ein und schaue, was dabei herauskommt. Und manchmal, zumindest bei diesem Album, war es nicht so, dass ich mir vorgenommen habe: Okay, das schreibe ich jetzt für mein zweites Album. Für mich war Musik schon immer eine Form der Katharsis, eine Form der Therapie, und ich verarbeite meine Emotionen in einem Song auf eine Art und Weise, zu der ich in der Therapie nicht komme. Und viele Ideen kommen mir unter der Dusche, in Gesprächen, in stillen, verletzlichen Momenten in meinem Tagebuch. Oder durch Liebste, die mir etwas zuflüstern. Sie kommen einfach durch das Leben. Meine Kunst ist so sehr von meiner menschlichen Erfahrung geprägt. Die beiden Dinge sind eng miteinander verbunden.

Wie findest du da die Balance zwischen der öffentlichen Fletcher und der privaten Cari?
Als ich anfing, Musik zu schreiben und zu veröffentlichen, wollte ein Teil von mir die Leere füllen, die ich als Kind spürte. Ich wollte gesehen und gehört werden, denn ich wuchs queer in einer wirklich kleinen konservativen Stadt auf. Und so habe ich angefangen, die Balance zu finden zwischen dem Wunsch, mein Leben und meine Erfahrungen authentisch zu teilen, und dem Wissen, dass ich Dinge für mich behalten und selbst erleben kann. Diese Balance wird mir mit jedem Album oder mit jedem Werk klarer. 

Was hat dich zu deinem neuen Album inspiriert und wie kamst du auf den Namen?
Das „Antidote” hat sich im Laufe meines Lebens verändert. Es waren viele Dinge: Frauen, Beziehungen, Fans, Tequila. Dann hatte ich letztes Jahr mit meiner Gesundheit zu kämpfen und war auf einer gesundheitlichen Reise. Und so war mein Gegenmittel etwas anderes. Ich habe versucht, die Antworten auf das zu finden, was los war, auf der Suche nach Antworten und dem Antidote für meinen Körper. Dieses Album ist eine Erkundung der Liebe in all ihren unendlichen Erscheinungsformen. Sei es durch Freude, Extase, Lust, Eifersucht oder Schmerz. Und ich wollte jedem einzelnen dieser Teile eine Stimme geben, denn so kann ich diese Dinge heilen. Ich war also immer auf der Suche nach einer Antidote.

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Fühlt sich diese Albumveröffentlichung anders an als „Girl of My Dreams”?
In gewisser Weise bin ich eine ganz andere Person als die, die „Girl of My Dreams” herausgebracht hat. Es ist also unweigerlich anders. Der rote Faden ist immer meine konsequente Ehrlichkeit, dass ich mich nicht vor diesem Gefühl scheue, sondern es wirklich verkörpere und ausdrücke. Das Leben ist Kunst und die Kunst ist das Leben, und die beiden spiegeln sich und tanzen miteinander. Ich bin Sternzeichen Fische, sogar auf vier Planeten, also eine verdammte Drama-Queen. Klanglich und energetisch ist „In Search of the Antidote”. Es ist eine weiterentwickelte Perspektive auf die Gefühle, die ich hatte.

Wie siehst du deine Rolle als queere Künstlerin in der Musikindustrie?
Ich hatte immer das Gefühl, dass ich eine bestimmte Rolle erfüllen, in irgendeiner Weise ein Vorbild sein muss oder perfekt über das reden, was passiert ist. Einfach perfekt aufzutreten. Es gibt jetzt diese Freiheit, die ich mir selbst gegeben habe, um keine Rolle erfüllen zu müssen, um einfach zu existieren und auch in meiner Sexualität fluide zu sein. Ich gebe mir selbst die Erlaubnis, für niemanden etwas zu müssen, außer für mich selbst, in diesem gegenwärtigen Moment. Auch wenn es darum geht, wie ich meine Maskulinität oder Femininität ausdrücken möchte. 

Foto: Sebastian Faena

Ist die Body-Mind-Verbindung wichtig für dich?
Sie ist ein „Antidote” für mich! Als jemand, die mit wirklich schweren psychischen Problemen, wie Angstzuständen und Zwangsstörungen aufgewachsen ist, habe ich viele Ansätze ausprobiert, verschiedene Medikamente genommen und verschiedene Therapien gemacht. Ich habe so sehr in meinem Kopf gelebt und wirklich mit der Beziehung zu meinem Verstand gekämpft. Ich habe meinem Körper erst im letzten Jahr Priorität eingeräumt. Und in gewisser Weise frage ich mich, warum ich so lange gebraucht habe. Es ergibt für mich einen Sinn, dass ich im letzten Jahr so krank geworden bin, weil ich diese Sache ignoriert habe, die wirklich lautstark mit mir kommuniziert hat, dass ich einfach über meine Belastungsgrenze hinaus gedrängt habe. In Wirklichkeit ist meine Neudefinition von Erfolg: Wie erfüllt bin ich? Wie viel hat mir heute gefehlt? Wie erfüllt ist mein Herz? 

Nutzt du diese Verbindung auch, bevor du auf die Bühne gehst?
Ich halte inne, wärme meinen Körper auf, mache eine Meditation und visualisiere die Show und wie ich mich auf der Bühne fühlen will, die Präsenz und Sicherheit und Freude, die meine Fans im Publikum spüren sollen. Zwischen Bewegung, Achtsamkeit, Meditation und Visualisierung bringe ich all das ein, um mir das Gefühl zu geben: Okay, ich fühle mich bereit, da rauszugehen und gesehen zu werden. Ich fühle mich bereit, umarmt zu werden und die sexy, großartigen Menschen im Publikum zu umarmen und zu treffen. 

Foto: Sebastian Faena

Viele Künstler*innen nutzen Social Media, um sich mit ihren Fans zu verbinden, wie gehst du damit um? Und freust du dich, deine Fans wieder live zu sehen?
Ich habe ein wirklich kompliziertes Verhältnis zu den sozialen Medien. Sie belasten meine mentale Gesundheit sehr, deshalb war es für mich immer schwer, dort Kontakte zu knüpfen. Vor allem, weil es einfach so viele Informationen gibt und wir ständig mit ihnen überschüttet werden. Wenn ich also online bin, fällt es mir schwer, eine Verbindung zu spüren. Wenn ich die Leute sehe und diesen Moment habe, wo wir gemeinsam diese Texte singen, das ist eine ganz andere Erfahrung. Und es ist eine, die ich einfach genieße und von der ich träume. Ich kann es kaum erwarten, sie wieder zu erleben. Es gibt mir so eine Lebenskraft, auf der Bühne zu stehen, die ich sonst nicht erreicht habe.

Deine Debüt-EP aus dem Jahr  2016 heißt „Finding Fletcher”. Hast du Fletcher durch deine Musik gefunden?
Ich habe mehr von ihr gefunden und ich habe mehr von Cari gefunden. Und Cari beeinflusst Fletcher und Fletcher beeinflusst Cari. Dieses Album vereint beide so wie kein anderes. Es gibt immer etwas zu entdecken. Es ist immer eine Suche und ich werde immer auf der Suche nach Fletcher sein. Und bis jetzt war es eine gute Reise.

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