Sex muss nicht immer das schnell Rein-Raus-Rammeln sein. Drei junge Menschen erzählen, warum langsam bei ihnen nicht automatisch langweilig bedeutet: Drei klare „Oh ja“ zu Blümchensex.
Das Wort „Blümchensex“ hat einen gehässigen Beigeschmack. Es ist das Synonym für Spießigkeit, Langeweile und Einfallslosigkeit im Bett. Soft-Rock, Missionarsstellung und dann verlegenes Kuscheln – so beschreiben viele Menschen im Internet die Theorie. Die Statistik sagt etwas anderes: Noch 2019 zeigt ein Jahresrückblick [eines bekannten Porno-Portals], dass es bei den Zugriffen in der Kategorie „Romantic“ einen Anstieg um 102 Prozent gegeben hat. Und warum auch nicht? Es gibt schließlich [Menschen], die ganz bewusst auf Slow Sex setzen und Kuschelsex in seiner ganzen romantischen Art zelebrieren.
Was ist Blümchensex überhaupt?
Per Definition muss Blümchensex übrigens nicht immer zum Geschlechtsverkehr führen, sondern beschreibt eine sanfte und auf Zärtlichkeit ausgerichtete Sexualität, die auch im Petting schon ihren Höhepunkt finden kann. Nein, nicht jede*r hat das Bedürfnis, die sexuelle Experimentierfreudigkeit bis in jede Fetischnische auszuleben. Im Grunde definiert aber jed*r Blümchensex auf die eigene Art und Weise. Nur im Kern geht es immer um dasselbe: ganz viel Gefühl! Anders sieht bei vielen immer noch das Bild im Kopf aus, was dem*der Partner*in gefallen könnte: Bestimmt mag er oder sie es schneller, härter oder fester. Dazu sagen wir: gähn. Denn selbst wenn viele Blümchensex als altbacken bezeichnen, ist er am Ende fortschrittlicher als all das, was in Klischee-Sexfilmen propagiert wird: Es geht um Entschleunigung. Außerdem sind beide Partner*innen gleichberechtigt, es gibt keinen Dominanten oder Unterwürfigen und damit automatisch mehr Respekt im Bett. Und letztlich ist doch keine Variante so intim und voller Nähe wie Kuschelsex – was ihre Befürworter*innen nicht als Grund zur Scham sehen, sondern als größten Vorteil.
Riccarda, 21, Paderborn
„Wir haben auch mal härtere Sachen ausprobiert, aber ich habe festgestellt, dass mich nichts so sehr in Stimmung bringt wie eine große Portion Romantik. Man muss sich nicht mit einem Umschnalldildo ewig penetrieren, damit man einen Orgasmus bekommt.“
„Ich habe mich mit 16 Jahren als lesbisch geoutet. Davor hatte ich genau ein einziges Mal Sex – mit einem Jungen. Er hat direkt drauflosgerammelt, als sei er ein Hase zur Paarungszeit. Mir tat danach alles weh und ich habe diesen Vorfall lange verdrängt, auch weil ich dann festgestellt habe, dass ich eben auf Frauen stehe. Eine Zeit lang dachte ich, Sex sei einfach nichts für mich. Ich meine, schauen wir uns mal so Filme wie ,50 Shades of Grey’ an, dann bekommt man immer mehr das Gefühl, für Menschen muss Vögeln immer härter werden. Und auch unter den Frauen in ,Orange Is the New Black‘ ist Schmusesex nebensächlich.
Romantik bringt Stimmung – und geht auch ohne Umschnalldildo
Ich habe seit zwei Jahren eine feste Freundin und mit ihr zusammen herausgefunden, dass Leidenschaft und Lust auch in Slow-Mo funktionieren. Sie hat viel mehr Erfahrungen als ich und hat mir Schritt für Schritt die Angst vor Sex genommen. Wir haben auch mal härtere Sachen ausprobiert, aber ich habe festgestellt, dass mich nichts so sehr in Stimmung bringt wie eine große Portion Romantik. Man muss sich nicht mit einem Umschnalldildo ewig penetrieren, damit man einen Orgasmus bekommt. Aber das denken leider viele aus meiner lesbischen Community.
„Keiner springt schnell unter die Dusche oder setzt dem Sex anders abrupt ein Ende. Im Gegenteil.“
Meine Freundin und ich zelebrieren Petting, jede unserer Bewegungen ist langsam. Ich liebe das Kribbeln im Bauch bei jedem zärtlichen Kuss. Wir flüstern uns süße Sachen ins Ohr und ich merke gerade beim Blümchensex, wie sehr ich sie liebe und die Lust in mir größer wird. Wenn wir uns dann gegenseitig befriedigen und danach noch lange im Bett kuscheln, fühlt es sich an, als ob die Welt stillsteht. Keiner springt schnell unter die Dusche oder setzt dem Sex anders abrupt ein Ende. Im Gegenteil: Danach geht es mit Streicheleinheiten und Schmusen weiter. Ich denke, das Problem unserer Gesellschaft mit Kuschelsex ist, dass wir Geschlechtsverkehr mit Geilheit gleichsetzen und nicht mit Intimität und Zuneigung. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich es langsam und sanft mag. Das ist auch eine Vorliebe, die nicht jeder ausleben muss. Mir fehlt absolut nichts im Bett.“
Timon, 29, Berlin
„Auch Sex zwischen zwei Fremden kann intensiv und schön sein – und länger dauernd als 15 Minuten.“
„Als ich nach einer längeren Beziehung wieder Single war und Lust auf Sex hatte, installierte ich mir Lovoo. Ich erinnere mich an ein Mädel, die mir schrieb, sie suche nur ,eine schnelle Nummer’. Die Formulierung störte mich sehr: Muss Sex immer schnell sein? Ich habe nichts gegen One-Night-Stands, aber auch Sex zwischen zwei Fremden kann intensiv und schön sein – und länger dauernd als 15 Minuten. Ich traf mich mit einer anderen, wir gingen was trinken und ich brachte sie nach Hause. Wir landeten im Bett, und während wir mitten bei der Sache waren, stöhnte sie mir auf Dauerschleife ins Ohr: ‚Fester! Härter!‘ Am Ende kam keiner von uns zum Orgasmus und sie meldete sich nie wieder bei mir.
„Wir sollten uns wirklich mal fragen, ob Kuschelsex wirklich so unmännlich ist oder eigentlich diese sensible Art genau das ist, was wahre Stärke ausmacht, weil es nicht unserem Rollenbild entspricht.“
Wenn ich Pornos gucke, dann Romantic
Ich stehe einfach nicht auf Rein-Raus, genauso wenig wie auf schnelles Ausziehen und wildes Aufeinander-Rumreiten. Wenn ich Sex habe, möchte ich den Körper des anderen erkunden. Ich will jede Stelle küssen, ich will meine Partnerin streicheln und langsam in sie eindringen. Ich will sie spüren und das geht beim Blümchensex am besten. Wenn ich Pornos gucke, dann meist unter dem Schlagwort ‚Romantic‘, da entwickelt sich wenigstens noch eine kurze Story. Man spürt das Knistern zwischen beiden Personen und niemand reißt sich sofort die Kleider vom Leib, um draufloszuvögeln. Mit meiner Exfreundin habe ich gern eine romantische CD eingelegt und Kerzen angezündet. Ich möchte die Stimmung zelebrieren, damit man sich gegenseitig hingeben kann und Sex richtig fühlt. Bei meinen Jungs würde ich das nie zugeben, weil sie sicher darüber lachen würden. Einige benutzen das Wort ,Blümchensex‘ auch als Synonym für schlechten Sex. Wir sollten uns wirklich mal fragen, ob Kuschelsex wirklich so unmännlich ist oder eigentlich diese sensible Art genau das ist, was wahre Stärke ausmacht, weil es nicht unserem Rollenbild entspricht.“
Irina, 34, Magdeburg
„Es überforderte mich, weil ich dauernd das Gefühl hatte, alles, was ich bis dahin im Bett gemacht habe, sei nicht genug.“
„Ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, wie ich Sex am liebsten mag. Als ich noch jünger war, wollte ich unbedingt dauernd Neues ausprobieren. Wenn mein Freund und ich nicht mindestens einmal die Stellung beim Geschlechtsverkehr gewechselt haben, fühlte sich der Sex automatisch schlecht an. Ich weiß noch, wie wir auf einer Klassenfahrt in der Oberstufe mal in einem Sexshop in Prag standen und ich mir dachte: ,Das alles braucht man für guten Sex?! Peitschen, Masken, Fesseln, Halsbänder, knallenge Latexkostüme, Sexspielzeug…‘ Es überforderte mich, weil ich dauernd das Gefühl hatte, alles, was ich bis dahin im Bett gemacht habe, sei nicht genug. In der Uni-Zeit war ich überwiegend Single und wollte jedem Typen unbedingt so den Kopf verdrehen, dass er bei seinen Kumpels davon schwärmt, wie gut ich im Bett sei. Wie wild und ungehemmt.
Der Moment nach dem Blümchensex: Superglücklich statt schweißgebadet
„Je reduzierter der Sex ist, desto weniger kann man irgendwas kaschieren“
Dann lernte ich einen Mann kennen, mit dem ich ewig knutschte und kuschelte, bevor er mich überhaupt befummelte. Ich fühlte mich wie ein kleiner Teenager in seinen Händen. Irgendwann sprachen wir darüber und er lachte: ‚Du musst nicht bei jedem Mal dein ganzes Sex-Fachwissen auspacken und mich jedes Mal härter rannehmen. Ich mag es sanft und so, wie wir es tun.’ Erst störte es mich trotzdem, aber irgendwann ließ ich mich fallen und fand heraus, wie entspannt es ist, sich einfach zu lieben. Der ganze Druck, sich irgendwie im Bett gegenseitig zu übertrumpfen, war weg. Statt schweißgebadet lag ich nach dem Sex mit ihm superglücklich in den Laken. Ja, meine Haare waren nicht so zerzaust wie früher, aber mein sanftes Stöhnen war wenigstens nicht mehr vorgetäuscht. Blümchensex ist die intimste Art, wie zwei Menschen Sex haben können, und das erfordert wahre Erfahrung. Denn wer unsicher ist, kann sich auf so etwas nicht einlassen: Je reduzierter der Sex ist, desto weniger kann man irgendwas kaschieren. Letztlich geht es beim Blümchensex um das Zwischenmenschliche und nicht mehr um die sportliche Leistung im Bett. Genau das liebe ich daran.“
Fotos: Elif Okay Model: Ariell Aray
Titelbild: Olya Kobruseva/Pexels
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Dieser Beitrag wurde ursprünglich am 21. Mai 2019 veröffentlicht. Es wurden kleine Anpassungen vorgenommen.