New Church: Finden wir bald alle wieder zu Gott?

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Mit Wortwitz, WLAN und Female Empowerment werden die Gotteshäuser in Deutschland moderner. Können eine junge Ansprache und ein fortschrittlicher Umgang Kirchenaustritte verhindern?

„Godspot – das freie WLAN der evangelischen Kirche“ – dieses Wortspiel prangt auf einem drei Meter großen Banner über den Toren von rund 220 Kirchen in Berlin und Brandenburg. Technisch im Jetzt, ziemlich smart und irgendwie gar nicht so viel Staub, wie man Religion gern mal pauschal unterstellt. Witz oder vielmehr Mut für Zeitgeist beweisen die Evangelen aber auch mit ihrer ungewöhnlichen Vermietung in der aktiven Kirche Zum Heiligen Kreuz im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Unters Dach zog da nämlich 2016 die DOJO-Werbeagentur, die mit der größten Fuckfinger-Attitude Deutschlands. Man stelle sich mal den kuriosen Bewerbungsprozess für den Mietraum vor, als die Kirchenvertreter zum ersten Mal auf die Geschäftsleute in Jogginghosen trafen und deren Home­page inspizierten. „Mittlerweile ist Mvschi für unsere Kunden immer öfter so was wie die Kirche für kleine Jungs: Auch wenn sie nicht wollen, zwingen wir sie immer wieder hemmungslos zum Geschäftsverkehr.“ Genau so beschreibt der Internetauftritt zum Beispiel ihr Label Mvschi Kreuzberg. Um Gottes willen. Als offene Kirche für den Kiez ent­schied die Kirche Zum Heiligen Kreuz  sich also, darüber zu lachen – oder ordnet die erfolgreichen Provoka­tio­nen der Agentur am Ende ­zu­min­dest der Kunstfreiheit zu. Und so geneh­migten die Vermieter im Namen der Kunst auch die – sagen wir mal ziem­lich ungewöhnliche – Instal­lation im Eingangsbereich des heiligen Ge­bäudes: Ein gekreuzigter Mark Zuckerberg begrüßt hier täglich die Mitarbeiter und Besucher. Die lebensgroße Figur wurde an ein blaues Facebook-Kreuz genagelt und regt garantiert zum Nachdenken an…

Die Cool Kids der Kirche

Modernisierung steht aber nicht nur in Berlin auf der Kirchen-Agenda. In Deutschland gibt es viele progressive Bewegungen, die versuchen, Re­li­gio­nen sexy, interessanter – sagen wir es, wie es ist –, ein bisschen lo­cke­rer zu machen. Laut einer Umfrage von Statista wünschen sich 95 Prozent der Katholiken mehr Moderne in ihrer Religionsgemeinschaft. Glau­be spielt für junge Menschen zwar eine Rolle, die alten Strukturen innerhalb der Gotteshäuser aber nicht. Im Juli 2017 veröffentlichte der ARD-DeutschlandTrend, dass die Mitgliederzahlen der großen Kirchen hierzulande sinken. Wie schon in den Jahren zuvor gibt es deutlich we­niger Eintritte als Austritte. Lässt sich diese Entwicklung etwa mit Hipster-Anwandlungen kippen? Und selbst wenn: Muss das sein? Die Meinungen gehen hier stark auseinander. Man kann’s feiern – man kann’s als unangenehm oder unangebracht empfinden. Es ist ein bisschen so wie mit den Fantastischen Vier: Die Rapper aus den 90ern wollen 2018 noch immer hip sein und ziehen dafür die Schilde ihrer Caps auf eine Seite. Für die einen sind sie eine moderne Interpretation von 50-jährigen Männern, na, saucool. Für die anderen Pseudo-Jugendliche und personifizierte Dad-Jokes in Sneakern. „Ich glaube, Kirche muss sich den Entwicklungen der Zeit stellen, und das bedeutet nicht einfach, sich anzubiedern und krampfhaft modern sein zu wollen. Das wirft man Kirche manchmal vor. Sondern es geht darum, mit den Menschen auf dem Weg zu sein und nicht gegen sie. Und das bedeutet eben auch, mich davon herausfordern zu lassen, dass sich gesellschaftliche, kulturelle, naturwissen­schaft­liche, sexualethische Themen verändern und anders als früher gesehen werden“, sagt Dr. Annina Ligniez.

Die Menschen müssen sich angenommen fühlen

Sie ist evangelische Theologin, Lehrbeauftragte, Focusing-Begleiterin und arbeitet als Pfarrerin in der evan­ge­lisch-lutherischen Kirchengemeinde Enger. „Unsere evangelische Kirche ist meiner Meinung nach auf einem guten Weg. Wir stellen uns Fra­gen nach neuen liturgischen Formen, danach, wie wir Menschen heu­te in einer digitalen Gesellschaft erreichen können. Wir suchen den Diskurs und Dialog mit Kunst, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft.“ Die Pfarrerin steht auf Rockabilly, trägt am liebsten Petticoats und Pünkt­chen – dass das nicht im Widerspruch zur Kirche stehen muss, beweist sie mit dem mutigen Projekt talarart.net. Gemeinsam mit ihrem ehema­ligen ­Studenten Bruno Biermann will Annina Öffentlichkeit schaffen für das ­liturgische Kleidungsstück und den Menschen darunter. Intime Fotos ­zeigen sie als Frau, als sexuelles Wesen mit den gleichen Lastern und Freuden wie jede andere. Ihr Weg zum Diskurs über eine zeitgemäße christ­liche Lebensführung. „Tradition und Zeitgeist lassen sich verbinden. Vor allem wenn wir darüber nachdenken, wie wir Menschen ansprechen. Die Texte und Geschichten, die theologische Botschaft, diese Hoffnung und dieses gute Lebensgefühl, das wir zu verkündigen haben und mit dem wir eigentlich nicht geizen sollten, darf nicht nur auf den Kanzeln verkündigt werden“, so die Theologin. „Die Menschen müssen sich angenommen fühlen und ich denke gerade viel darüber nach, dass wir das erreichen, wenn wir gemeinsam essen und trinken, tanzen, feiern, erzählen und zwar auch in einem anderen Rahmen als im Gottesdienst. Ich glaube, so leben wir Gemeinschaft anders. Viele in unserer Gesellschaft fühlen sich einsam und überfordert, all den Ansprüchen zu genügen. Ihnen da Entlastung zu schaffen durch eine Begegnung, die völlig frei ist von Leistungsanspruch und Prestige – genau davon träume ich.“

 

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Mit Wortwitz und WLAN werden die Gotteshäuser in Deutschland moderner. Können eine junge Ansprache und ein fortschrittlicher Umgang Kirchenaustritte verhindern? Credit: Unsplash

 

Social (Media) Club

Auch Jacqueline Straub träumt von einer modernen Kirche. Sie ist Ka­tholikin, hat Theologie studiert und fühlt sich zur Pfarrerin berufen. Blöd nur, dass die katholische Kirche Frauen untersagt, das Wort Gottes zu ver­künden. Solange die 27-Jährige noch gegen die patriarchalischen Strukturen und traditionelle Paragrafenreiter kämpfen muss, predigt sie einfach bei YouTube. „YouTube und generell Social Media sind die Zukunft – auch oder gerade für die Kirchen. Dort halten sich Menschen heute auf. Darum möchte ich auch genau dort mit meinem Onlineprojekt preachers.news präsent sein. Die Menschen gehen heute nur noch wenig in die Kirchen. Dennoch zeigen Studien, dass die Sehnsucht und Sinn­fra­gen durchaus präsent sind. Durch soziale Netzwerke können wir näher bei den Menschen sein, auf eine moderne Weise die Kirche zu den Menschen bringen und diese wiederum in ihrem (aufkeimenden) Glauben un­ter­stützen“, erklärt sie. Auch wenn sie persönlich viel Gegenwind bekommt und Gefahr läuft, exkommuniziert zu werden, sieht sie Fortschritt auch in der römisch-katholischen Kirche: „Sie versucht, modern zu werden, das zeigen tolle Initiativen und Projekte, gerade im Jugendbereich. In vielen Pfarreien haben die Seelsorger realisiert, dass es eine modernere Sprache braucht, damit die Gläubigen zuhören. Modern ist für mich, wenn man die ,Zeichen der Zeit‘, wie es das Zweite Vatikanische Konzil vor über 50 Jahren so schön sagte, im Blick hat. Das heißt: schauen, wie die Menschen heute ticken und was sie brauchen. Das finde ich cool und zeigt, dass die Kirche durchaus modern sein kann: Papst Franziskus hat seinen eigenen Twitter-Account…“ Genau dieser Papst ziert übrigens auch die Handyhülle von Jacqueline Straub. In ihrer App-Sammlung finden sich die Bibel und das Rosenkranzgebet.

Religion zum Downloaden

Auch das Judentum und der Islam haben so einiges im App-Angebot: Tora- und Koranauslegung, Erklärungen zur Sitte und moderne Interpretationen, Quizspiele oder Food-SOS. Ramadan geht heute leichter dank App-Kalender, koscheres Essen lässt sich dank Koscher-App scannen. Wer offen dafür ist, findet zu jeder Glaubensrichtung einen modernen Aspekt: Im Juni 2017 eröffnete zum Beispiel in Berlin die erste gemischtgeschlechtliche Moschee. Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee heißt in einem Raum der evangelischen Johanniskirche im Stadtteil Moabit Sunniten, Schiiten, Aleviten, Sufis, Menschen aller islamischen Glaubensrichtungen und ebenso ausdrücklich homosexuelle Muslime willkommen. Frauen müs­sen hier kein Kopftuch tragen, dürfen zusammen mit den Männern be­ten und die Funktion der Vorbeterinnen einnehmen. Eine moderne Entwicklung, die religiöse Hardliner auf die Palme bringt. Gelinde gesagt, denn die Realität dieses Fortschritts ist nämlich auch, dass die Anwältin Seyran Ateş, Gründerin der liberalen Moschee, seit der Eröffnung unter Polizeischutz steht: Sie erhielt Morddrohungen. Ja, der Wunsch nach Wan­del kann gefährlich werden. Seyran und ihre Mitstreiterinnen nehmen das in Kauf, sie führen ihn weiter, ihren Kampf für eine bessere Stel­lung der Frau im Islam. 2017 feierten wir Reformationsjubiläum – ein Grund­gedanke von Reformation ist schlicht der Wortbedeutung nach, sich zu erneuern. Sich und die Theologie, das Gottes- und das Menschenbild immer wieder infrage zu stellen. Die Antworten hierfür fallen allerdings, Gott sei Dank, ganz individuell aus.

Dieser Artikel wurde ursprünglich in der BLONDE Printausgabe #042 (1/2018) veröffentlicht. 

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