Wenn aus Boxtraining Mode wird: Diese Designs geben einen Einblick

Für seine Kollektion „Grand Bassin” vermischt das Label Sample-cm Boxtraining mit maßgeschneiderter Mode. Dahinter steckt die Forderung für mehr (weibliche) Wut und Repräsentation jenseits von Gender-Grenzen. Warum, erklärt Designerin Margot Charbonnier in 6 kurzen Fragen.

Choose your fighter: Wer Memes und Popkultur-Referenzen nicht komplett verpasst, dürfte auch diese Metapher kennen. Sie erinnert an alte Video- und Computerspiele, in denen User*innen ihre Kämpfer*innen „choosen”, also nach eigenen Wünschen gestalten können. So ähnlich dürfte auch Margot Charbonnier gedacht haben, als sie die Kollektion „Grand Bassin Club 2021” für ihr Label Sample-cm entwarf. Jedes Jahr widmet sie ihre Designs einer neuen Sportart, in diesem Jahr ließ sie sich vom Boxtraining inspirieren. So ziemlich jedes Teil greift die Sportart auf: Es gibt Bucket Bags in Form von Boxhandschuhen, Sneakers mit XXL-Verschluss bis zu Main Pieces, die boxähnliche Wickeltechniken auf großer Ebene inszenieren. Kurz: Der „Grand Bassin Club 2021” ist ein maßgeschneiderter Mix aus Emotion und Kampfsport.

Der Ursprung für die Kollektion entstand in einem Moment, in dem ich ziemlich angepisst war. Das ist nach wie vor eine sehr unerwünschte Emotion – besonders für Frauen. – Margot Charbonnier

Boxtraining mit Maßanfertigung: Sample-cms Kollektion „Grand Bassin 2021”

Zu sehen sind die Entwürfe in einem interaktiven Webportal, das Charbonnier mithilfe eines Teams aus Kreativen ins Leben gerufen hat. Auch hier passt die Metapher von „Choose your fighter“. Die Web-Präsenz ist aufgebaut wie ein altes Video- oder Computerspiel, das in die Boxhalle verlegt wurde. Neben dem Boxtraining bleibt aber vor allem Wut das Kernthema dieser Kollektion. Charbonnier möchte thematisieren, wie Aggressionen in und um die Sportwelt nach wie vor stereotyp wahrgenommen werden. Dafür lässt sie Gendergrenzen dennoch hinter sich. Im Zentrum von „Grand Bassin 2021” stehen auch 6 Cis-, trans*- und nicht-binäre Kämpfer*innen, die die Historie des Sports geprägt haben. Warum dabei auch ein Schal Geschichte schreibt, verrät uns Margot Charbonnier in 6 kurzen Fragen.

Es geht um Wut: Das ist die Botschaft hinter den Box-Outfits

Margot, wie würdest du die Idee zu dieser Kollektion in kurzen Sätzen beschreiben?
Der Ursprung für „Grand Bassin 2021” entstand in einem Moment, in dem ich ziemlich angepisst war. Das ist eine sehr unerwünschte Emotion – besonders für Frauen. Uns wird schon in frühen Jahren beigebracht, diese Gefühle nicht auszudrücken, geschweige denn, sie physisch zu zeigen. Also ich entschloss ich mich, den Ärger anzunehmen und zu hinterfragen. Ich nutzte ihn als produktives Tool für eine Kollektion, in der sich Boxen und Kleidung mischen. Damit eröffnen wir eine breitere Diskussion über die Aktivitäten, zu den Frauen und Mädchen ermutigt werden. Und wir sprechen über die Räume, von denen sie in Sportmedien und der Modeindustrie ausgeschlossen werden.

„Für Frauen ist es immer noch politisch, ein Gym zu betreten und sich mit einem Raum zu befassen, in dem man nicht erwartet wird. Gleiches gilt dafür, den eigenen Körper auf diese Art und Weise einzusetzen, diese Art von Kraft zu mobilisieren, muskulös zu werden – und damit potentiell bedrohlich. ”

Jedes Jahr wählst du für „Grand Bassin” eine bestimmte Sportart als Fokus. Warum fiel deine Wahl in diesem Jahr aufs Boxen? 
Ich habe selbst geboxt. Für Frauen ist es nach wie vor sehr politisch, ein Gym zu betreten und sich mit einem Raum zu befassen, in dem man nicht erwartet wird. Gleiches gilt dafür, den eigenen Körper auf diese Art und Weise einzusetzen, diese Art von Kraft zu mobilisieren. Dafür, muskulös zu werden und damit potentiell bedrohlich. Es liegt weit entfernt von den Erwartungen an ein Gender. Boxen und Kampfsport bringen außerdem diese reichhaltige Bildwelt von „Old School Boxing” mit sich, von historischen Figuren, Filmreferenzen. Das war das perfekte Match, um die Fragen hinter dieser Kollektion anzugehen.

Von diesen Kämpfer*innen können wir lernen

Jene Fragen umfassen eine ausführliche Hintergrundgeschichte, in der du dich auf sechs Cis und trans* Frauen fokussierst, die eine bestimmte Seite des Kampfsport reflektieren. Worüber müssen wir noch mehr lernen?
In jeder Saison entwickle ich für „Grand Bassin” eine Reihe von Schals, die sich auf die Sportart der jeweiligen Kollektion beziehen. Mit Linien folge ich einer Athletin auf dem Feld und kreiere aus diesen Linien schließlich ein Muster für die Schals. In dieser Saison war es mir besonders wichtig, 6 Kämpfer*innen zu zeigen: Historische und gegenwärtige Figuren, cis, trans* und nicht-binär, Women of Color. Ich will damit neue Vorbilder anbieten und zeigen, dass Frauen stark sein können, spektakuläre Performer*innen, manchmal auch blutig. Ein Beispiel ist der Schal zu Christy Martins aus Faux-Veloursleder. Sie ist eine US-amerikanische Boxerin, die stark in die Legitimierung von weiblichem Boxen der 1980er Jahren involviert war. Sie wurde auch Weltmeisterin. Ein weiterer Schal aus demselben Stoff gehört zu Nong Toom, die in jüngerer Vergangenheit Zeit als männlich gelesene und weibliche Kämpferin in Muay Thai geboxt hat, und zwar auf einem unglaublichen Level.

Diese Schals sind Kämpfer*innen wie Christy Martins oder Nong Toom gewidmet.

Was ist das Herzstück der Kollektion?
Das gesamte Design war komplett von einer Technik inspiriert: Hand-Wrapping. Im Boxen ist das ein wichtiges Ritual, um sich für einen Kampf vorzubereiten. Dafür umwickelt man die Hand, bevor man Handschuhe anzieht. Als Signature Piece der Kollektion haben wir Kunstleder-Handschuhe mit einem Wollfutter designt, die um die gesamte Hand gewickelt werden können. Das gleiche Konzept haben wir auf die Kleidung ausgeweitet. Hierfür haben wir ein Schnittkonzept verwendet, in dem Ober- und Unterteil zusammenhängen, also vollständige Anzüge entstehen. All-in-one, damit sie um den gesamten Körper gewickelt werden können. Ich habe zum Beispiel einen „Trench Suit” entworfen, bei dem die Hose, Jacke und das innere Top miteinander verbunden sind. Wegen dieses Schnittmusters fertigen wir nun auch alles auf Maß an, damit die Stücke jedem Körpertyp passen. Wir produzieren im Atelier mit hohen Qualitätsstandard, handgemachten Nähten und Färbungen.

Die Website zur Kollektion ist ein interaktives Game

Die Website zur Kollektion ist ein interaktiver Space mit Glossar, Videos etc. Warum war euch das wichtig?
Ehrlich gesagt basiert die gesamte DNA von Sample-CM mehr auf Interaktivität als auf Style. Die Gesten der Kund*innen sind immer Teil des Design-Prozess. Pieces werden gewickelt, kombiniert, ausprobiert. Für mich ist das der Weg, eine Eigenart von Kleidung und ihrer Lebenszeit zurückzuerlangen. Ein Fashion-Moment lässt sich auf den Moment des Anziehens und Ausziehens verlängern und man kann dafür sorgen, dass er erhalten bleibt. Logischerweise habe ich also entschieden, für diese Kollektion VJ-ing zu integrieren und das Web-Design dynamischer zu gestalten. Ich war außerdem daran interessiert, Referenzen aus Boxing Gym, Tutorial-Videos und Videospielen zu vermischen. In dieser Grauzone schafft man Diskussion und Überraschung. Auf größerer Ebene will ich aber die Kraft von Handlungen kommunizieren und klarmachen, wie wir als Individuen Institutionen beeinflussen können – kreativ und politisch. 


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