Leben nach der Fehlgeburt: „Wir stellen uns vor, dass unser Baby in den Sternen wartet“

Begriffe Sternenkinder, Sternenmama oder Sternenpapa lernte unsere Autorin kennen, als sie ihr Kind verlor. Hier schreibt sie über ihre Fehlgeburt.

#sternenkinder, #sterneneltern, #sternenmama, #sternenpapa. Diese Hashtags bei Instagram lernte ich 2019 kennen, sowie #fehlgeburtdarfkeintabuthemasein, #sternenkinderbleibenunvergessen und #kleinegeburtensindauchgeburten – unfreiwillig und schmerzhaft, als ich mein Baby verlor und eine ‘kleine Geburt‘ erlebte. Sie schenkten mir Trost, schafften Verbindungen zu Menschen, die ein ähnliches Schicksal, wie mein Verlobter und ich erleben mussten, gaben und geben mir Halt in eine der schmerzvollsten Phase meines Lebens.

Der Gedanke stimmte mich stolz, denn irgendwann dachte ich, wird es so sein und ich Mama werden und Mama sein. Mein Leben verlief schließlich anders.

Mama werden und Mama sein wollte ich seit ich denken kann. Als kleines Mädchen war ich eine leidenschaftliche Puppenmutti. Als ich mit sieben Jahren große Schwester wurde, kam meine Mama mit meinem kleinen Bruder genau an meinem Geburtstag nach Hause und ich war glückselig. Ich erinnere mich, dass ich während des Studiums einer alten Dame im Haushalt half. Eines Tages, ich war am Fenster putzen und stand auf einer kleinen Leiter außen auf dem Balkon, um auch ganz oben das Fenster sauber zu wischen, riefen drei Jugendliche zu mir hinauf: „Ey, du hast aber einen dicken Bauch.“ Empört über so viel Frechheit antworte ich: „Na ja, da wächst ein Baby im Bauch.“ Die Jugendlichen erschraken und entschuldigten sich sofort. Natürlich wuchs kein Kind in mir. Aber es hätte ja sein können und der Gedanke damals stimmte mich stolz, denn irgendwann dachte ich, wird es so sein und ich Mama werden und Mama sein. Mein Leben verlief schließlich anders.

Zum ersten Mal schwanger wurde ich erst im Alter von 43 Jahren

Dass ich dieses Geschenk und Wunder noch erleben würde, hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt. Als ich 25 Jahre alt war lernte ich eine Frau kennen und lieben, mit der ich 16 wunderbare Jahre verbrachte. Ein Baby zu bekommen war zwar damals ein großer Wunsch von mir, aber wir fanden keinen Weg diesen gemeinsam umzusetzen. 2017 suchte ich schließlich auch beruflich einen Neuanfang und entschied nach zwölf Jahren wissenschaftlicher Tätigkeit als evangelische Theologin all meinen Mut zusammenzunehmen und wagte den Sprung ins Pfarramt. Auf einer Rockabilly-Hochzeit, die ich als Pfarrerin begleitete, lernte ich ein Jahr später meinen Verlobten kennen und lieben. Er brachte drei Kinder mit in unsere Beziehung, die teilweise bei uns leben. Nicht im Entferntesten dachte ich daran, ihn zu fragen, ob er auch noch ein Kind mit mir bekommen wollte. Er hatte ja schließlich schon drei! Zudem war mein Kinderwunsch inzwischen tief in mir weggeschlossen.

Oliver war es, der dieses Thema an einem ruhigen Abend für mich gänzlich überraschend, ansprach: „Ich würde gerne noch ein Kind mit Dir haben!“ So unvermittelt sein Wunsch für mich kam, so plötzlich erwachte mein eigener Kinderwunsch wieder.

Aus den Tiefen meines Herzens sprang er voller Vorfreude uns beiden entgegen: „Ja! Ja, ich will mit Dir Eltern werden, ich wünsche mir, dass genau Du es bist, der mich doch noch zu einer Mama macht.“ Große Hoffnungen machte mein Frauenarzt uns angesichts meines (damals 42) und seines Alters (41) nicht, aber gleichzeitig ermutigte er uns, es einfach zu versuchen. Kurz nach meinem Geburtstag im Mai des darauffolgenden Jahres erfuhren wir überraschend, dass sich Peppa bei mir eingenistet hat. Von Beginn an gaben wir unserem noch ungeborenen Baby diesen Namen, ohne genau zu wissen, ob es wirklich ein Mädchen werden sollte. Wir freuten uns wie Schneekönige! Wir waren schwanger, es hatte geklappt!

Acht Wochen später sollte alles ganz plötzlich vorbei sein

Ich bekam Schmierblutungen und verlor unser Baby unter traumatischen Umständen mitten auf dem Weg zum Frauenarzt. Ich hatte damals einen sehr guten Frauenarzt, der mich begleitete – viele Frauen erleben dies ganz anders und erleiden dadurch zusätzlich Furchtbares. Sie werden zur Ausschabung ins Krankenhaus überwiesen und treffen dort selten auf Empathie und Anteilnahme. Selbst Klinikseelsorger*innen reagieren manches Mal erschreckend, in dem sie den Sterneneltern erklären, es sei doch nur ein Verlust im ersten Trimester (bis zur 12. SSW.) und das sei doch nicht so schlimm, komme häufiger vor und man solle es eben noch mal versuchen. Ich wurde nicht in ein Krankenhaus überwiesen, bekam keine Ausschabung, sondern durchlebte eine sogenannte kleine Geburt.

Verliert eine Mutter ihr Kind durch eine kleine Geburt erlebt sie gleichermaßen Wehen, wie bei einer Geburt zum Ende einer Schwangerschaft.

Zur Trauerbewältigung ist dieser Weg sicherlich heilsam, wenngleich es auch Mütter gibt, die eine operative Maßnahme (Ausschabung) bevorzugen. Für mich war es heilsam, denn so habe ich das Gefühl irgendwie doch auch eine Geburt erlebt zu haben und mich noch einmal anders von Peppa verabschiedet zu haben. Gemeinsam mit Oliver stand ich die folgenden Tage zu Hause durch und wir gaben uns gegenseitig Halt. Plötzlich waren wir Eltern geworden, aber ganz anders, als wir es erwartet und erhofft hatten. Wir wurden Sterneneltern unseres Sternenkindes Peppa. Was das für uns bedeuten sollte und wie sehr es uns und unsere Beziehung verändern sollte, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Zunächst stand ich unter Schock. Wir hatten uns so sehr dieses Baby gewünscht. Nie hätte ich geglaubt ein Ultraschallbild mit meinem Namen darauf, in den Händen zu halten und darauf dieses kleine Wunder ‚Leben‘ zu sehen.

Das Ultraschallbild ist ein kostbarer Schatz

Es bedeutet mir mehr als der positive Schwangerschaftstest. Unter Tränen bastelte ich einen Erinnerungskoffer für Peppa, in dem ich all das verpackte, was uns an sie erinnert. Ich schrieb Briefe an mein ungeborenes Kind, dass ich verloren hatte. Versuchte jede Erinnerung an Peppa irgendwie festzuhalten. In den Armen von Oliver weinte ich unentwegt und ging doch nach knapp einer Woche wieder arbeiten. Ich dachte dies würde mir guttun und diesen Anspruch hatte ich gerade als Pfarrerin auch an mich selbst, die ich doch auf professioneller Ebene immer wieder Menschen in Trauersituationen begleite. Es gelang mir aber nicht, in meinen (beruflichen) Alltag als Pfarrerin zurückzukehren. Zu groß war meine Trauer, zu erschüttert war mein Gottvertrauen, zu sinnlos kam mir mein Leben vor.

Zwei Monate später schrieb mich ein Arzt mit der Diagnose Depression aufgrund meiner Trauer krank. Vier Monate blieb ich schließlich zu Hause und kämpfte mit Wut, Trauer, Scham und meinem bzw. unserem Kinderwunsch.

Ich war unfähig, mich selbst in dieser Trauer um unser verstorbenes Kind zu begleiten. Erschrocken war ich in dieser Zeit über die Unbeholfenheit vieler Menschen mit diesem Thema und verletzt über manches Unverständnis unserer Trauer, leider auch in meinem kirchlichen Umfeld. „Es war doch nur so groß, wie ein Gummibärchen!“ „Weißt Du eigentlich, wie alt Du bist?!“ „Es hat halt nicht sollen sein!“ Viele Sterneneltern erleben und hören Ähnliches und werden mit ihrer Trauer um ihr verlorenes Baby nicht ernst genommen. Oft noch schlimmer ist der Umgang mit trauernden Vätern, denn ihnen wird noch weniger die Trauer um ein früh verlorenes Kind zugestanden. Es ist gänzlich falsch davon auszugehen, dass der Verlust eines Kindes umso schmerzhafter sei, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist. Egal zu welchem Zeitpunkt sie das Kind verloren haben, für die Eltern ist es der Verlust von etwas Liebgewonnen und Ersehnten, den es genauso zu betrauern gilt, wie den Tod von Eltern, Geschwistern, Freund*innen.

Mir half die unendliche Liebe meines Verlobten, der mich immer wieder in den Armen wiegte, wenn mich Heulkrämpfe schüttelten und der mir half, nicht aufzugeben und nach vorne zu schauen. In der Zeit, wo es mir unmöglich war an mich selbst zu glauben oder auch mich Gott anzuvertrauen, war er es, der an mich glaubte. Er selbst trauerte im Stillen. Wenn ich ihn aber auf Peppa ansprach, erzählte er mir wie oft er an unser kleines Mädchen denkt und wie sehr auch er sie vermisste.

Leichter wurde es mit der Veröffentlichung des Verlusts

Die meisten Menschen sind zwar damit überfordert, aber uns tat es gut unser Kind beim Namen zu nennen und unsere Trauer nicht mehr zu verbergen. Gerade über die sozialen Medien erhielt ich viel positive Rückmeldung und Anteilnahme. Das tat und tut gut bis heute. Viele Sterneneltern suchen diesen Austausch. Sie erfahren dort oft mehr Trost und Verständnis als in ihrem eigenen sozialen Umfeld. Bis heute glaube ich, dass es heilsam war und ist Peppa nicht zu verschweigen. Ich will mich meiner Trauer nicht mehr schämen. Dieses Kind gehört zu uns und ist Teil unseres Lebens, wenn auch ganz anders als wir es erhofft hatten. Am Meisten freue ich mich, wenn Menschen Peppa bei ihrem Namen nennen. Wir lieben und vermissen sie bis heute.

Jeden Abend zünden wir eine Kerze für sie an. Oft reden wir über sie und darüber wie es wäre, wenn sie doch bei uns sein könnte. Wir beobachten nachts die Sterne und stellen uns vor, dass unser Baby dort oben auf uns wartet

An ihrem errechneten Geburtstermin feierten wir gemeinsam unser Baby. Der Luftballon, den wir anlässlich dieses Tages kauften, schwebt auch dieser Tage noch in unserem Wohnzimmer. Inzwischen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, Sterneneltern und ihren Sternenkindern einen Platz in unserer Gesellschaft zu ermöglichen, insbesondere den Eltern, die einen frühen Verlust ihrer Kinder zu beklagen haben. Gerade auch Fehlgeburten und kleine Geburten dürfen und sollten kein Tabuthema in unserer Gesellschaft sein. Sie passieren häufiger als wir es annehmen. Jede dritte Frau verliert ihr Kind während des ersten Trimesters. Die betroffenen Eltern reden aber häufig aus Scham und Angst vor Unverständnis nicht darüber. All diese Frauen und Männer sind jedoch Eltern geworden, auch wenn sie ihr Kind nie an ihrer Hand halten werden und es noch so klein war. Sie gilt es in ihrer Trauer genauso zu begleiten, als ob sie ihr Kind bei einer stillen Geburt verlieren. Jeder Mensch hat das Recht zu trauern und zwar auf seine*ihre ganz individuelle Art und Weise.

Der letzte, schwere Gang

Nach § 31 der Personenstandsverordnung unseres Landes, konnten wir für Peppa eine beurkundete Bescheinigung beim Standesamt beantragen. Das war uns wichtig, denn es unterstreicht noch einmal, dass es Peppa gegeben hat und weißt uns als Mama und Papa unseres Babys aus. Diese Bescheinigung ist nicht von der Dauer einer Schwangerschaft oder einem Mindestgewicht des tot geborenen Kindes abhängig. Es genügt ein Ausweisdokument der Eltern und eine Bescheinigung, dass eine Fehlgeburt stattgefunden hat. Auch im Nachhinein, wenn der Verlust des Kindes schon lange zurückliegt, kann eine solche Bescheinigung ausgestellt werden. Oliver und ich trafen auf eine sehr verständnisvolle Standesbeamtin, für die es das erste Mal war ein Sternenkind einzutragen, die aber sehr achtsam im Umgang mit uns war.

Die Neuregelung ums Personenstandsregister haben die Sterneneltern Barbara und Mario Martin im Jahr 2013 erkämpft. Sie sagen: „Man braucht kein ganzes Leben, um zu lieben, es reicht schon ein kleiner Augenblick, um alle Liebe zu geben und zu empfangen.“ So ist es! Wir sind Sterneneltern – Mama und Papa von unserer Peppa, die wir nie aufhören werden zu lieben oder zu vergessen. Sie schenkt uns jeden Tag aufs Neue Hoffnung auf ein Regenbogenbaby und darauf eines Tages doch noch ein gesundes Kind in unseren Armen zu halten. Den besten Schutzengel hat es bereits heute – Peppa, unser kleines Sternenmädchen.

Dr. Annina Ligniez arbeitet als Pfarrerin des Kirchenkreises Herford. Durch ihr eigenes Schicksal setzt sie sich privat dafür ein, dass Sterneneltern und ihre Sternenkinder einen Platz innerhalb der Gesellschaft bekommen.

 

  • Sterneneltern

    Schämt euch eurer Trauer nicht! Sprecht darüber und sucht euch ggf. professionelle Begleitung in eurer Trauer. Erinnert euch an euer Baby, an Euer Sternenkind. Bewahrt eure Erinnerungen in einem Koffer, Korb, Schatzkiste oder Ähnlichem auf. Tauscht euch mit anderen Sterneneltern aus (im Internet oder auch in Trauergruppen für verwaiste Eltern vor Ort). Lasst euch beschenken z. B. vom Verein Sternenzauber & Frühchenwunder e.V.: Sie verschicken gegen eine kleine Spende ganz wundervolle Erinnerungsboxen.

  • Wie gehe ich mit Sterneneltern um?

    Fragt nach dem Namen ihres Kindes und nennt dieses auch so, ganz gleich wie früh sie ihr Kind verloren haben. Akzeptiert ihre Trauer und ihren Verlust und schmälert diesen nicht. Seid verständnisvoll und achtsam, wenn sie Zeit brauchen, um wieder am sozialen Leben teilzunehmen. Seid ehrlich, wenn ihr unbeholfen seid oder euch die Worte fehlen. Hört einfach nur zu und vergesst nicht, immer wieder nach ihnen zu fragen und zu sehen. Schreibt Trauerkarten und Geburtstagskarten (z. B. am errechneten Entbindungstermin). Schenkt ihnen kleine Erinnerungen daran, dass sie Eltern geworden sind oder die ihnen Trost und Halt geben können. Erinnert euch mit ihnen gemeinsam an ihre Kinder und vergesst nie: Auch wenn sie ihr Kind nicht in ihren Armen halten können – sie sind Eltern geworden, ganz gleich wie früh sie ihre Kinder loslassen mussten.

  • Definitionen und Begriffe

    Laut medizinischer Definition ist eine Fehlgeburt (Missed Abortion/Abort) das frühzeitige Ende einer Schwangerschaft, bei der das nicht lebensfähige Kind mit einem Gewicht von weniger als 500 Gramm und vor der 22.-24. Schwangerschaftswoche zur Welt kommt. Verliert man das Kind auf natürlichem Wege ohne operativen Eingriff spricht man von einer kleinen Geburt. Wiegt das Kind über 500 Gramm spricht man von einer Stillen Geburt (Totgeburt). Diese Definitionen sind schwierig, denn es gibt inzwischen Frühchen mit 300-400 Gramm Geburtsgewicht, die überleben. Die verstorbenen Kinder nennt man Sternenkinder. Ihre Eltern dementsprechend Sternenmama, Sternenpapa, Sterneneltern. Das auf eine kleine oder stille Geburt folgende Kind nennt man Regenbogenkind-/baby, denn es folgt auf eine traurige und schmerzhafte Erfahrung hin und schenkt neues Licht, wie ein Regenbogen nach Sturm und Regen.

Text: Dr. Annina Ligniez

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 14. April 2020 erschienen.

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