Marilyn Monroe, Lady Di, Amy Winehouse: Von den großen Stars der Vergangenheit kommen wir auch nach ihrem Tod lange nicht los. Wo aber liegt die Grenze zwischen Grabesruhe und Medienrummel, der die Kassen klingeln lässt? Müssen wir nicht langsam andere Geschichten erzählen? Ein Anfang.
Mein Dasein als Marilyn-Monroe-Fan begann in den 2010er-Jahren, als ich ein Teenager war. Besonders viel musste ich für diese Entwicklung nicht tun – Marilyns Bild schien mir allgegenwärtig. Ich sah sie als Konterfei gedruckt auf Taschen im Urlaub, als Werbeplakat, auf Buchtiteln; sie kam in Songs vor, ihre Looks in Musikvideos und Film-Referenzen. Kurze Zeit später hing ihr Foto als Poster über meinem Bett, ein weiteres Bild von ihr gerahmt an meiner anderen Wand. Ich bestellte mir Bücher über sie und schaute ihre bekanntesten Filme auf DVD. Noch heute besitze ich ein, na ja, „besonderes” Deko-Objekt: Eine Lampe, die Marilyns berühmteste Kleid-Szene aus „Das verflixte 7. Jahr“ in einer Holzfigur nachstellt. Ist ein Sammlerstück. Bestimmt.
„Blond”: Neuer Marilyn Monroe Film seziert ihr Leben auf Netflix
Alte Filmstars genau so zu idealisieren wie die Prominenten der Gegenwart, das war für mich nicht ungewöhnlich. Meine Freund*innen begeisterten sich schließlich auch für Audrey Hepburn und Co. Seit meiner Hochphase im Monroe-Fandom sind allerdings mehr als 10 Jahre vergangen, und mein Interesse genauso schnell geschwunden, wie es gekommen ist. Jetzt aber könnte ich es neu entfachen: Ab Mittwoch, 28. September läuft auf Netflix „Blonde”, ein an Monroes Leben angelehnter Hollywood-Film mit Ana de Armas in der Hauptrolle. Es ist die vermutlich profilierteste Darstellung der Monroe seit Michelle Williams in „My Week With Marilyn” von 2011. Ich werde mir den Film ansehen, auch ohne Fan-Status. Aber warum eigentlich? Ist die Geschichte der Marilyn nicht längst genug oder auserzählt? Warum können Hollywood und Zuschauer*innen ihre größten Stars nicht loslassen?
Diese Frage stellt sich auch Vulture-Autorin Zoe Guy. „Lasst sie ruhen: Marilyn Monroe spukt am „Blonde”-Set, weil wir ihren Frieden stören” lautet die These ihres Artikels, in dem Guy den Umgang mit Monroes Geschichte kritisiert – und, dass diese noch Thema ist. Explizit spielt die Autorin dabei auf die Kommentare von „Blonde”-Star de Armas und der Filmcrew an, die nicht nur Monroes Leben verfilmt, sondern auch am Set mit deren Geist kommuniziert haben wollen. Auch Kim Kardashian benennt Guy als Unruhestifterin. Kardashian trug eines von Monroes bekanntesten Original-Kleidern von 1962 zur diesjährigen Met Gala. Unter Fans und Mode-Historiker*innen löste sie damit eine Debatte aus, inwiefern die Besitztümer toter Stars in die Gegenwart getragen werden dürften. Auf einer größeren Ebene aber ging es auch darum, wie wir uns mit verstorbenen Größen im Allgemeinen beschäftigen. Und in welchem Maße wir das überhaupt tun sollten.
Club der toten Gesichter: Besessen von den großen Stars
Marilyn Monroe ist natürlich kein singuläres Beispiel dafür, dass wir verstorbene Prominente nicht ruhen lassen. Artikel wie der von Zoe Guy ließen sich seit Jahrzehnten über zahlreiche von ihnen schreiben – James Dean, Michael Jackson, alle unfreiwilligen Mitglieder des „Club 27”, the list goes on for long. Ein ähnliches Beispiel bietet Prinzessin Diana. Allein im letzten Jahr schien ihre Figur omnipräsent in westlicher Mainstream-Popkultur – und das 25 Jahre nach ihrem Tod. Die Darstellung Dianas von Emma Corrin in „The Crown” und auch Kristen Stewart in „Spencer” trugen am meisten dazu bei. Und auch im kommenden Jahr wird ein Fokus weiterhin auf ihrer Figur liegen, wenn die nächste Staffel von „The Crown” ansteht. Von möglichen ähnlichen Entwicklungen nach dem Tod von Queen Elizabeth II ganz zu schweigen.
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Andere Tote leben längst in Form von Deepfakes und Hologrammen wieder auf: Audrey Hepburn ist in einer Schokoladenwerbung zu sehen, das Hologramm von Rapper Tupac gibt wieder Konzerte, und auch Marilyn Monroe wiederum posiert als NFT-Deepfake auf dem Cover eines Modemagazins. Es müssen aber nicht mal verstorbene Prominente sein: „Warum der plötzliche Drang, berühmte Frauen zu überdenken?”, fragt Alexis Soloski in ihrer Analyse in der New York Times, und untersucht die erneute öffentliche Auseinandersetzung mit den Karrieren und Leben von Frauen wie Monica Lewinsky, Pamela Anderson, Janet Jackson und vielen anderen in Filmen, Serien und Dokumentationen.
Über wen berichtet wird, entscheiden Race und Klasse
Genau darin liegt die gefühlte Gemeinsamkeit der neuesten „Wiederauferstehungen”: Immer mehr weibliche Prominente stehen im Fokus. Klar, die Ära des Biopics wird nach wie vor von Männern dominiert – siehe Freddie Mercury, Elton John, Elvis. Es liegt aber zumindest der Eindruck nahe, dass wir vor allem vom Mythos der (selbstgeschaffenen) weiblichen Größen der Unterhaltungsindustrie nicht ablassen können. Und auch, wenn langsam unterrepräsentierten Figuren der Entertainment-Industrie in den Fokus kommen, sind viele dieser Auferstehungen vorrangig weißen Prominenten gewidmet. Warum das so ist? Alex Soloskis analysiert in der New York Times auch, inwiefern die neue Auseinandersetzung mit prominenten Figuren auf die hasserfüllte Kritik zurückgeht, die diese in vergangenen Jahrzehnten erfahren haben. Dafür gibt es natürlich ebenso Beispiele Schwarzer prominenter Frauen – aber über wen grundsätzlich berichtet wird und wurde, entschieden immer noch Race und Klasse, wird Soziologin Carolyn Chernoff zitiert.
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Was auf „Wir haben sie so schlecht behandelt” folgen muss
Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in der (zumindest dargestellten) Dramatik der Figuren. Teil davon ist auch, dass wir uns in der vermeintlichen „Aufarbeitung” unserer schlechten Behandlung der Prominenten heutzutage in Selbstvergebung wälzen. Dabei ginge es aber noch zu oft um einzelne Schicksale, statt um die systemischen Probleme hinter unserem Starkult, heißt es bei Soloski. „Wir können in vergangenen Missetaten schwelgen und uns gleichzeitig für unsere heutige Kultiviertheit beglückwünschen”, schreibt sie. „Die Kritikerin Kathryn Van Arendonk hat diesen Modus „Empathie-Tourismus“ getauft: ,Wir schauen als Außenseiter*innen auf diese [frühere] Welt und beklagen uns über die Dinge, die sie falsch gemacht hat“, schreibt Van Arendonk.” Viel hilfreicher sei es, wenn uns die Erkenntnisse zu Überlegungen bewegen würden, wie wir heute anders mit prominenten Figuren umgehen, heißt es weiter. Wenn uns ein Projekt nur dazu bewege zu sagen: „Wir waren so schlimm!“ statt Besserung zu geloben, sei es gescheitert. Heißt im Klartext: Wenn ein Marilyn-Biopic oder ein Film über Whitney Houston nur bewegt, den Kopf darüber zu schütteln, wie schlecht die Öffentlichkeit mit ihnen umgegangen ist, haben diese Kulturprodukte ihr Ziel verfehlt. Stattdessen sollten sie uns dazu bringen, es mit heutigen Prominenten besser zu machen und aus der Vergangenheit zu lernen.
Erbe und Kapital
Dieses Argument leitet darauf hin, dass wir die schon häufig wiederholten Geschichten von Monroe und Co. tatsächlich noch ein weiteres Mal mit neuem Fokus erzählen müssten – denn offensichtlich haben wir bisher nicht genug Wandel erreicht. Wenn wir uns aber dafür entscheiden, bleibt dennoch die Frage nach den Stories, die überhaupt mal eine erste Erzählung auf großer Bühne verdient hätten. Es dürfte klar sein, dass uns die Protagonist*innen hierfür nicht fehlen. Kapitalistische Motive mögen nahelegen, dass die Geschichte von Marilyn Monroe noch immer mehr Klicks und Kinogänge generiert, als die von weniger bekannten Minderheiten und Figuren. Und keinesfalls soll die „Ruhe in Frieden” bedeuten, dass wir Namen und Leben vergessen sollten – das gilt besonders für politische Kontexte. Es bleibt aber eben ein schmaler Grat, ob wir Geschichten erzählen, um das Erbe und den Namen einer Person in Erinnerung zu halten, oder einfach, weil genau diese beiden Assets fette Kohle garantieren.
Alte Protagonist*innen, neue Zukunft
Soll heißen: Wenn wir Hollywood- und Personenkult hinterfragen, müssen wir nicht nur die Art und Weise neu justieren, wie wir mit Figuren umgehen, sondern auch, wer diese Figuren sind – und aus welchem Grund wir sie immer wieder sezieren. Irgendwann aber wird auch das „gute alte Hollywood” ein prähistorischer Fall sein. Dass wir bis dahin von der Sensationalisierung einzelner Figuren ablassen, ist unwahrscheinlich. Es lohnt sich aber, neue Protagonist*innen aus der Vergangenheit in eine andere Zukunft mitzunehmen. Und wenn es nur dafür ist, dass der Geist von Monroe kein weiteres Filmset heimsucht.
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