Interview: Die Fotoserie „Queer Skateboarding“ zeigt Skate-Kultur jenseits von Stereotypen

Foto: Ross Landenberger
In seiner laufenden Fotoreihe „Queer Skateboarding“ portraitert Ross Landenberger die Schnittstellen von queerem Leben und Skateboarding. Über maskuline Szene-Klischees, neue Freiheiten, sichere Räume und die Entwicklung von Gemeinschaft innerhalb einer Subkultur spricht er hier.

Was bedeutet es, queer zu sein und Skateboard zu fahren? Hängen die eigene Identität und der Sport zwangsläufig zusammen, und wenn ja wie? Welche Räume gibt es für queere Skater*innen und welche müssen noch geschaffen werden? Diesen Fragen und mehr widmet sich der (selbst queere) Fotograf und Skateboarder Ross Landenberger aus Atlanta in den USA. Seit mehr als drei Jahren reist er dafür durch die Südstaaten des Landes, abgesehen von einem Abstecher nach London. Auf seinen Reisen fängt Ross Bilder von Menschen und Geschichten ein, die bei traditionellen Bildern und in der Praxis von Skate-Kultur noch immer oft nicht mitgedacht werden. Nach einer pandemiebedingten Pause nimmt er die Arbeit an seiner Serie nun bald wieder auf. Vorher verrät Ross BLONDE, wie queere Identifikation und Skateboarding für ihn zusammengehören, welche queerfeindlichen Widersprüche die Szene noch prägen und warum Netzwerke und Events für die Entwicklung des Sports eine zentrale Rolle spielen.

Queer sein, Skateboard fahren: Die Geschichte hinter der Fotoserie

Ross, auf deiner Webseite beschreibst du die Fotoserie als „ongoing”, die aktuellsten Motive stammen jedoch von 2019. Wie ist der aktuelle Stand?
Meine letzten Porträts sind Ende 2019 entstanden, nur wenige Monate vor der Pandemie. Um die Sicherheit der Menschen, mit denen ich fotografiere, und meine eigene zu gewährleisten, habe ich das Projekt fürs letzte Jahr auf Eis gelegt. Ein Großteil meiner eigenen Anxiety hat mit meiner Gesundheit zu tun, daher fiel mir diese Entscheidung leicht. Am meisten habe ich in der Zeit alleine auf einem Kirchenparkplatz in der Nähe von meiner Wohnung in Atlanta geskatet. Ich hatte das Glück, kürzlich geimpft zu werden und freue mich darauf, wieder an dieser Werkserie zu arbeiten! In diesem Sommer werde ich in den US-amerikanischen Südosten reisen, um sie weiterzuentwickeln.

Wie hat sich die Pandemie nicht nur auf diese Serie, sondern auf deine Arbeit im Allgemeinen ausgewirkt?
Die Pandemie hatte einen großen Einfluss auf meine Arbeit. Ein paar Jahre lang hat die Kreation der Bilder aus „Queer Skateboarding” einen großen Teil meiner Fotoarbeit in Anspruch genommen. Die Pandemie zwang mich dazu, mich mehr nach innen zu wenden und mit Stillleben und Selbstporträts zu arbeiten, während ich allein in meinem Studio-Apartment war. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, meine meditative Beziehung zur Fotografie zu stärken und darüber nachzudenken, was ich visuell interessant finde. Ich freu‘ mich jetzt darauf, genau das in meine zukünftige Porträt- und Dokumentararbeit einfließen zu lassen.


Aly, Aggie, and Malaika, New York City, 2018

Die kleine Platte aus blauem Beton ist Befreiung und Versteck zugleich

Du hast in der Vergangenheit darüber gesprochen, dass du dein Interesse am Skaten von deiner Identität als queerer Mann trennst. Wie hat sich diese Schnittstelle im Laufe der Zeit entwickelt?
Mit der Zeit hat sich diese Trennung komplett aufgelöst. Als ich in Tennessee aufwuchs, kam ich durch meinen älteren Cousin zum ersten Mal mit Skateboarding in Berührung. Er war der Typ US-amerikanischer Teenager der frühen 2000er, der sehr auf Bam Margera und alles stand, was mit Zerstörung zu tun hat. Ich sah diese aggressive und übermäßig maskuline Einstellung in den Skateparks widergespiegelt, sodass ich mich dort nie sehr wohl fühlte. Es war eine kleine Platte aus blauem Beton, auf der die Kids ziemlich oft mit homophoben Ausdrücken um sich warfen. Für mich persönlich war das Skateboarden eine Quelle der Befreiung und der Flucht, aber gleichzeitig war es auch eine Art von Versteck. Ich hatte das Gefühl, dass ich in diesem Raum nicht willkommen war, weil ich so war, wie ich war – also habe ich nie daran gedacht, mich zu outen.

„Das Skateboarden, das sich früher so einschränkend und weit entfernt von meiner Queerness anfühlte, wurde plötzlich zu dem, was mich mit anderen verband, die ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht hatten: Sich bei einer Aktivität, die uns Freude bereitet, nicht willkommen zu fühlen.”

Durch die Arbeit an diesem Projekt haben die Menschen, mit denen ich das Glück hatte, zu sprechen, von ihnen zu lernen und mit ihnen Fotos zu machen, mein Selbstbewusstsein gestärkt und meine Liebe zum Skateboarding wiederbelebt. Seit ich vor ein paar Jahren angefangen habe, zu queeren Skateboarding-Events zu gehen, bin ich mehr geskatet als jemals zuvor in meinem Leben, einschließlich meiner Teenagerjahre. An diesem Punkt fühlt es sich so an, als überschnitten sich alle meine Interessen und Arten, mich zu identifizieren, mehr als je zuvor.

Widersprüche innerhalb der Subkultur

Was war die größte Überraschung oder Enthüllung, die du aus der Arbeit an dieser Serie mitgenommen hast?
Am meisten hat mich glaube ich die Freundlichkeit beeinflusst, die mir jede Person entgegengebracht hat, mit der ich Fotos gemacht habe. Oft hatten wir nur ein paar Instagram- oder Twitter-DMs ausgetauscht, bevor wir uns trafen, aber wenn wir uns dann endlich sahen, fühlte es sich an, als würden man mit Freund*innen abhängen. Am Morgen ein paar Tage nach Thanksgiving 2018 hatte ich die Gelegenheit, Ryan zu fotografieren. Er ist ein schwuler Mann, der sein ganzes Leben lang Skateboard gefahren ist, und ich fotografierte ihn in seinem schönen Haus in Schertz, Texas – einer Stadt, die ich noch nie besucht hatte. Wir unterhielten uns ein oder zwei Stunden über das Leben, er zeigte mir seine Kunst und sein Atelier, und wir liefen auf seinem Grundstück herum und machten zwischen den Gesprächen Pause, um ein Bild von ihm zu schießen. Das Skateboarden, das sich früher so einschränkend und weit entfernt von meiner Queerness anfühlte, wurde plötzlich zu dem, was mich mit anderen verband, die ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht hatten: Sich bei einer Aktivität, die uns Freude bereitet, nicht willkommen zu fühlen.

„Selbst in der spaßigen und unbeschwerten Kultur des Sports treffen marginalisierte Gruppen auf Vorurteile. Skateboarding ist auf antihegemonialen Idealen begründet, aber die heutige Subkultur hat viele Widersprüche dazu, weil Homophobie und Sexismus in ihr präsent sind.”

Abgesehen von den queeren Identitäten der Menschen auf den Fotos, was ist das Konzept, das die Bilder miteinander verbindet?
Selbst in der spaßigen und unbeschwerten Kultur des Sports treffen marginalisierte Gruppen auf Vorurteile. Skateboarding ist auf antihegemonialen Idealen begründet, aber die heutige Subkultur hat viele Widersprüche dazu, weil Homophobie und Sexismus in ihr präsent sind. Mit diesem Projekt arbeite ich daran, eine primäre Quelle von queerer Stärke und Menschen zu schaffen, die sich einen Platz in einer Subkultur schaffen, die ohne sie im Hinterkopf geschaffen wurde.

Was ist „queer” an „queer Skateboarding”?

In einem Interview sagte eine Person, die du fotografiert hast, dass queeres Skaten buchstäblich nichts anderes beinhaltet als eben queere Menschen, die skaten. Würdest Du dem zustimmen?
Ja, ich denke, das ist sicher wahr, aber ich denke, dass es mit der Zeit auch so viel mehr verkörpert hat. Wie ich schon sagte, ist es ein Beispiel dafür geworden, wie queere Menschen sich einen Platz in einem Sport erobern können, der ihnen traditionell verwehrt war. Queere Skate-Events haben sich auch weiterentwickelt. Viele, bei denen ich war, sind zu einem Ort geworden, an dem alle Identitäten willkommen sind, denen die Skateboard-Community bisher feindlich gegenüberstand.

Abgesehen von der Presse, wie sind die Reaktionen auf das Projekt gewesen, zum Beispiel auch innerhalb queerer Communities oder von anderen Skater*innen? Gab es auch Kritik?
Leute, die ich von überall her getroffen habe, hatten unglaublich nette Dinge über das Projekt zu sagen. Ich habe E-Mails und Instagram-DMs von Leuten bekommen, die ich nicht kenne, die mir Komplimente für die Fotos machen und ihre Erfahrungen als queere Menschen im Skateboarding teilen. Das hat mir wirklich sehr viel bedeutet. Auf der anderen Seite bekommt ein Beitrag normalerweise eine Menge homophober und transphober Kommentare, zum Beispiel wenn das Projekt auf öffentlicheren Plattformen wie NBC News vorgestellt wurde. Es gibt immer noch eine Menge Arbeit, die getan werden muss.

Skateboarding ist Ausdruck, Flucht, Freiheit und Gemeinschaft – aber safe für alle?

Wie sehen queere Räume im Skateboarding aus und welche Rolle spielen sie für die Entwicklung des Sports?
Ich habe diese Räume zum ersten Mal durch Unity kennengelernt, ein queeres Skateboarding-Kollektiv mit Sitz in San Francisco. 2017 ging ich zu einer Session, die sie in London organisierten, und traf einige wirklich coole queere Skateboarder*innen. Jede*r dort tauschte Telefonnummern und Social-Media-Handles aus und plötzlich war ich mit einer Gruppe von queeren Menschen verbunden, mit denen ich skaten konnte. Das hatte ich noch nie zuvor gehabt. Diese Räume existieren also physisch, wenn ein Event geplant wird, aber sie existieren auch in Form eines etablierten Netzwerks von queeren Skateboarder*innen.

„Es ist wichtig, dass wir Räume schaffen und eine Gemeinschaft aufbauen, um nicht nur den Komfort, sondern auch die Sicherheit von queeren Menschen im Skateboarding zu gewährleisten.”

Skateboarding ist eine erstaunliche Quelle des Ausdrucks, der Flucht, der Befreiung und der Gemeinschaft, aber die Skateboard-Kultur hat eine lange Geschichte der Ausgrenzung und Diskriminierung. Es ist wichtig, dass wir diese Räume schaffen und eine Gemeinschaft aufbauen, um nicht nur den Komfort, sondern auch die Sicherheit von queeren Menschen im Skateboarding zu gewährleisten. Der Sport kann von einer maskulinen und aggressiven Energie dominiert werden, die viele queere Menschen davon abhält, es überhaupt zu versuchen. Als ich mit Skateboarding aufwuchs, habe ich mich in Skateparks und unter anderen Skater*innen immer sehr fremd gefühlt. Erst als ich andere queere Menschen traf, die auch skaten, erlebte ich das Gemeinschaftsgefühl, das so wichtig für diesen Sport ist. Skateboarden zu lernen ist eine unglaublich verletzliche Erfahrung, und wenn es keine formalen Räume und Gemeinschaften gibt, in denen queere Menschen sich einen Platz schaffen können, wird sich der Sport nicht weiterentwickeln.

Anmerkung: Mit dem Begriff „queer” identifizieren sich auch Menschen, die sich den z.B. in „LGBTQIA+” aufgezählten Geschlechtsidentitäten oder Sexualitäten nicht zugehörig fühlen und dementsprechende Bezeichnungen ablehnen. „Queer” hat außerdem eine weitere politische und historische Bedeutung, die über die Kontexte von Sexualität und Geschlechtsidentitäten hinausgeht und weitere strukturelle Diskriminierung, auch innerhalb von marginalisierten Gruppen, in den Blick nimmt. Außerdem spielt die heutige Verwendung auf den nun Selbstzeichnung verwendeten, ursprünglich als Schimpfwort gegen mehrfachdiskriminierte Menschen eingesetzten Begriffs an. Eine ausführliche Erklärung findet ihr zum Beispiel im Video von @erklaermirmal.

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