„(R)Evolution Irresistible“ heißt die Kollektion von Melisa Minca, die sie bei der letzten Berlin Fashion Week präsentierte. Es ist ihr bisher politischstes Werk. Im Exklusiv-Interview erzählt sie, warum dies ihre letzte Show gewesen sein könnte.
Melisa Minca ist eine in Berlin lebende Upcycling-Designerin und Aktivistin, die seit 2018 nachhaltige Mode neu interpretiert. Mit ihrer neuesten Kollektion „(R)Evolution Irresistible“, die sie am 2. Februar 2025 auf der Berlin Fashion Week zeigte, sprengte Melisa Minca die Grenzen traditioneller Fashion Shows mit einer Mischung aus Aktivismus, Performance und kreativem Ausdruck. Die Show symbolisiert ihre Solidarität für die zum Schweigen gebrachten Stimmen und ihre Haltung gegen globale Ungerechtigkeiten – zusammengefasst in einem Revolutionary Pamphlet:
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Für ihre Kollektion nutze Melisa Minca recycelte und vintage Stoffe, die sie durch innovatives Upcycling in dekonstruierte Anzüge und anmutige Seidenstücke verwandelte. Elemente wie die Keffiyeh, die Kopfbedeckung, die in Teilen des Nahen Ostens traditionell von Männern getragen wird, vermittelten Solidarität, während die Silhouetten die Essenz der modernen Revolutionär*innen einfingen – kühn, wearable und kompromisslos. Doch die junge Designerin kämpfte bei der Zusammenstellung dieser Show mit ihren inneren Konflikten. Als Teil einer Branche, die auf kapitalistischen Ideen und ausbeuterischen Strukturen basiert geriet sie an ihre Grenzen. Was Melisa motiviert hat, sich durchzusetzen und nicht zu schweigen, erzählte sie uns im Interview.

BLONDE: Hey Melisa, wie geht es dir nach der Berlin Fashion Week?
Melisa: Großartig! Ich bin sehr, sehr stolz darauf, was wir mit einem Budget von nur 8.000 Euro und einer Menge freiwilliger Arbeit erreicht haben. Aber jetzt muss ich wieder husteln, weil ich mein Business in den letzten drei Monaten etwas vernachlässigt habe.
Bevor wir tiefer in das Konzept deiner Show eintauchen, wie hast du die BFW in dieser Saison wahrgenommen? Warst du auch bei anderen Shows?
Immer wenn ich eine eigene Show mache, gehe ich nicht zu den anderen. Das liegt zum einen daran, dass ich viel zu busy bin und zum anderen daran, dass ich eine Essstörung habe und schnell davon geschafft bin, eine Woche lang dünne Models über den Laufsteg laufen zu sehen. Die letzte Saison hat definitiv ihre Spuren bei mir hinterlassen. Aber mein Team hat sich dieses Jahr Palm Wine Ice Cream angesehen. Das ist eine Upcycling-Brand aus Ghana und ihre Show war wirklich special.
Was hältst du von der Berliner Fashionszene im Allgemeinen?
Ich denke, der Fashion Council Germany ist eine problematische Institution. Berliner Marken verspüren so viel Druck, sie wollen ernst genommen werden und buchen oft nur skinny Models. Und der Fashion Council unternimmt nichts dagegen. Sie wollen internationale Einkäufer und die Presse anziehen. Sie wollen auf dem gleichen Niveau wie Paris und Mailand sein. Aber ich glaube, das ist nicht das, was die Berliner Szene ausmacht. Was sie unterstützen sollten, sind junge Talente, die laut sind, die Dinge anders machen wollen und die Probleme in der Modeindustrie tatsächlich lösen wollen. Berlin hat eigentlich so viel zu bieten. Aber durch das ganze System fühle ich mich mit meiner Marke eher als Außenseiterin.
Fotos: Indigo Lewisohn
Warum hast du trotzdem an der Berlin Fashion Week teilgenommen?
Ich verbringe kaum Zeit mit Leuten, die in der Modebranche arbeiten. Ich bin normalerweise mit anderen Kreativen und Aktivist*innen zusammen. Im Austausch mit diesen Personen wurde mir klar, wie wütend viele von uns im Moment sind. Also wollte ich ein Zeichen setzen und dachte mir, dass die BFW eine große Plattform ist, dass es internationale Presse geben wird und dass es eine gute Gelegenheit ist, diese Gespräche in einen Raum zu bringen, in dem sie normalerweise nicht gerne geführt werden. Meine Teilnahme und meine Show sind im Grunde eine Form des Protests.
Deine Show heißt „(R)Evolution Irresistible“. Was ist die Idee dahinter?
Letzten Sommer habe ich das Buch „Pleasure Activism“ von Adrienne Maree Brown gelesen. Es hat mich total inspiriert, weil es zeigt, wie wir alle Aktivismus betreiben können, indem wir Wege finden, ihn „pleasurable“ zu gestalten. Aktivismus ist eben nicht nachhaltig, wenn wir uns nur selbst geißeln. Dieser Gedanke war sehr präsent, als ich beschloss, mich für das Fördergeld des Fashion Council Germany zu bewerben. Ich wollte etwas tun, das tatsächlich sinnvoll ist. Nicht nur für mich, sondern für die allgemeine Situation hier. Und das Buch hebt auch die Bedeutung von Zusammenarbeit hervor. Anstatt dass ich also diktiere, wie alles sein soll, wurde die ganze Show zu einer Co-Kreation. Die Performance zu Beginn der Show war zum Beispiel nichts, wovon ich direkt eine klare Vision hatte. Die Regie für die „From Our Water To Your Water“ führte Riley Davidson und schlug damit eine Brücke zu dem in Deutschland verbotenen Slogan „From The River To The Sea“. Die Show endete mit einer Rede von Naya de Souza die die Deutschen dazu aufforderte, in den Spiegel zu schauen, sich ihrer Geschichte zu stellen und zu sehen, wie sie sich direkt vor unseren Augen wiederholt.

Welchen Schwierigkeiten musstest du dich bei der Planung deiner Show stellen?
Das größte Problem war die Finanzierung. Wir wollten ein Zeichen setzen gegen die Politik in Deutschland, gegen Zensur, gegen das Mundtotmachen von Menschen, die ihre Meinung sagen, und gegen Völkermord. Ich habe mich für den Fashion Council Grant beworben und hoffte, an ihren moralischen Kompass zu appellieren. Aber ich habe mich geirrt. Ich habe ihn nicht bekommen. Ich muss sagen, dass ich überrascht bin, dass sie uns überhaupt einen Platz im offiziellen BFW-Kalender gegeben haben.
Die ganze Erfahrung im Umgang mit dem Fashion Council während dieser drei Monate war wirklich schwierig. Ich hatte das Gefühl, dass sie uns wie Amateure behandelten oder als ob wir nicht wüssten, was wir tun. Und ich glaube nicht, dass das bei anderen Marken auch der Fall war. Sie gaben uns das Gefühl, unwichtig zu sein. Sie sind nicht einmal zu unserer Show gekommen, obwohl sie uns Plätze in der ersten Reihe für ihrer Members reservieren ließen. Und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich Teil dieses ausbeuterischen Systems bin, indem man die Leute bitten muss, freiwillig zu arbeiten, und ein Projekt als etwas verkaufen muss, das mehr wert ist als nur Geld. Ich konnte den Leuten nicht das zahlen, was sie verdient haben. Das ist einfach eine Menge Mist, den ich mir vielleicht nicht noch einmal antun möchte.
Trotzdem war die Show einfach wunderschön. Es herrschte ein starkes Gefühl des kollektiven Bewusstseins. Wir sind alle so stolz auf das, was wir erreicht haben, und die Show hat uns alle dazu inspiriert, unsere Arbeit fortzusetzen und für Menschen da zu sein, die uns wirklich brauchen. Dass wir keine Sponsoren hatten, war am Ende fast ein Segen. Zum ersten Mal hatten wir kreative Freiheit zu entscheiden, was wir sagen wollten und wie. Das ist unbezahlbar und in Zeiten wie diesen sehr wertvoll.
Also war das die letzte Melisa Minca Show?
Vielleicht. Aber das habe ich auch schon beim letzten Mal gesagt. Ich denke aber definitiv über eine Umstrukturierung meiner Arbeit nach. Ethisch zu arbeiten, war schon immer der Grundsatz meiner Marke. Ich will Dinge anders machen. Aber ich merke, wie ich in die „normale“ Vorgehensweise hineingeschlittert bin. Um mich zu finanzieren, mache ich zum Beispiel Workshops mit größeren Brands, und das möchte ich eigentlich vermeiden, aber das kann ich mir im Moment nicht leisten.
Fotos: Isabell Kessler
Du hast erwähnt, dass du deine Show per Crowdfunding finanziert hast. War das das erste Mal, dass du so etwas gemacht hast?
Ja. Mein Nachbar, der Aktivist ist, hat mal für eine Crowdfunding-Plattform gearbeitet und versucht schon seit Jahren, mich dazu zu bringen, das mal auszuprobieren. Und als mein Antrag auf einen Zuschuss abgelehnt wurde, sagte er: „Jetzt aber!“ Er half mir beim Erstellen der Kampagne und gab mir viele wertvolle Tipps. Aber es war schwierig. Wir sind in der Weihnachtszeit live gegangen, die allgemeine Wirtschaftslage ist eh schwierig, und vor unserer Haustür geschehen Völkermorde. Es gibt also wichtigere Dinge, für die die Menschen spenden können. Am Ende haben wir gerade genug gesammelt, um die Show zu umzusetzen.
Was hast du durch dieses Projekt gelernt?
Wie wunderschön es ist, Menschen durch gemeinsame Struggles zu verbinden und wie wirkungsvoll das sein kann.
Du hast für die Show mit Dr. Martens zusammengearbeitet. Wie kam es zu dieser Collaboration?
Schuhe sind echt schwierig zu beschaffen. Also haben wir uns an einen Freund eines Freundes gewandt, der bei BAM arbeitet, der Agentur, die die Marke vertritt. Und die fanden unser Projekt tatsächlich toll. Das war das erste Mal war, dass ich so etwas von jemandem mit Macht oder Geld gehört habe. Sie haben den Models sogar erlaubt, die Schuhe zu behalten, was wirklich sweet von ihnen war. Ich wünsche mir einfach, dass mehr Marken erkennen würden, dass die Unterstützung politischer Anliegen und das Einstehen für etwas tatsächlich etwas Gutes und nichts Kontroverses bedeutet. Dr. Martens ist eine der wenigen Marken, die sich aus irgendeinem Grund für unsere Sache einsetzt, was mich hoffnungsvoll stimmt, dass es Menschen in einflussreichen Positionen gibt, die die Realität sehen und erkennen, dass es für kein Unternehmen nachhaltig ist, den Status quo zu unterstützen, denn irgendwann gibt es keine Ressourcen und keine Kunden mehr.
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Wie sieht es mit deinen Kunden aus? Hast du genug, um von deiner Arbeit leben zu können?
Ja, aber eben nur ich allein. Wer konnte schon ahnen, dass man im Kapitalismus Kapital braucht, um ein Unternehmen zu gründen [lacht]. Das hatte ich nie. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie in der Slowakei. Und die Tatsache, dass ich auf eine internationale Privatschule und dann auf eine Universität in Schottland gegangen bin, war nur durch Stipendien möglich. Ich bin also gebildet, war aber gleichzeitig nicht in der Lage, jemals einen richtigen Job in Deutschland zu bekommen. Das hat mich dazu gebracht, mein eigenes Ding zu machen. Und dieses eigene Ding konnte sich dann nie richtig weiterentwickeln, weil ich kein Geld dafür bekommen habe. Wenn ich mich um Fördermittel für nachhaltige Initiativen bewerbe, werde ich meist abgelehnt und gefragt, wie ich meine Marke denn skalieren will. Das finde ich für grüne Fonds widersprüchlich. Ich würde einfach gerne ein nachhaltiges Unternehmen führen, das ein paar Angestellte bezahlen kann, eine kleine Marke, die sich selbst tragen kann. Aber niemand will mir dafür Geld geben. So langsam komme ich zu dem Schluss, dass ich meine Energie anders einsetzen und mich in einem anderen Bereich von Mode engagieren sollte, der sich mehr auf Aktivismus und weniger auf den Verkauf von Dingen konzentriert.
Aber brauchen wir nicht Marken wie die deine? Brands, die nachhaltig, inklusiv und ethisch sind?
Doch, natürlich! Aber ich spreche aus einer persönlichen Perspektive. Diese Art von Arbeit ist super intense. Mein Atelier ist mein Wohnzimmer. Ich kann mir keinen separaten Raum leisten. Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sind sehr schwammig und ich bin jetzt an einem Punkt angelangt, an dem es für mich einfach nicht mehr funktioniert.
Fotos: Isabell Kessler
Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Ich möchte in eine neue Stadt ziehen und sehen, wie ich etwas beitragen kann, das dort tatsächlich gebraucht wird. Der Prozess des Co-Creatings ist mir sehr wichtig, und dass die Leute nicht nur mit ihren eigenen Ideen daher kommen. Es ist so wichtig, dass wir nachfragen und versuchen, Wege zu finden, wie wir helfen können.
Wirst du mit Melisa Minca aufhören?
Das glaube ich nicht. Zumindest nicht morgen. Ich suche nur nach neuen Wegen, um meine Arbeit wieder mehr mit meinen Werten in Einklang zu bringen. Was mir am meisten Spaß macht und was ich hoffentlich auch in Zukunft fortsetzen kann, ist die Anfertigung von maßgeschneiderter Kleidung für Menschen, die sich etwas Besonderes wünschen, das ihnen etwas bedeutet und das sie für immer behalten wollen.
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